Zum Preis eines Handys – Ausverkauf in Indonesien

Sumatra und Papua sind Paradiese für Investoren – auf ihre Tricks sind die Dörfer nicht vorbereitet. Nachdem Sumatras Regenwald weitestgehend zerstört ist, fallen Konzerne nun über Papua her. Zu Gast in einem Dorf, das gerade von Clanchefs an einen Zuckerrohrkonzern verliehen wurde. Oder verkauft – so genau haben sie den Vertrag nicht verstanden.

veröffentlicht im VEM-Infoservice Juni 2012, S. 14 >> sowie gekürzt als Pressemitteilungen >> und  >>, read English version here >>

  • Auszug aus dem Paradies: Das Papua-Dorf K. hat gerade 14.000 ha Land an einen Investor verpachtet – zu einem Spottpreis.
  • Ihre Zukunft steht auf dem Spiel: Indigene Kinder in Papua.
  • Hotlan hat bei einem Überfall seinen Daumen verloren – ein Palmölkonzern will sein Dorf vertreiben.

Matius hat seit kurzem ein Handy – und ein schlechtes Gewissen. Zusammen mit vier anderen Clanchefs hat der Papua einen Großteil des Gemeindelandes an den Zuckerrohrkonzern Rajawali verliehen. Oder verkauft, so genau wissen sie es nicht. Schließlich war es schon dunkel an jenem Märzabend, an dem sie dem Drängen der Firma nachgaben.

4000 Kilometer westlich, auf der indonesischen Insel Sumatra, reckt Hotlan seine Faust in die Höhe: „Hidup Petami!“ Viva, Bauern! An der Hand fehlt ein Daumen. Und Bauer ist in seinem Dorf schon lange niemand mehr. Hotlan ist nie gefragt worden, ob er sein Land verkaufen will – der Palmölkonzern PTPN IV, der dem Präsidentschaftskandidaten Aburizal Bakrie gehört, hat es sich einfach genommen. Bald darauf steckten Unbekannte ihre Häuser in Brand, töteten mehrere Bewohner und verletzten viele schwer. Doch sie bleiben – wohin sollen sie auch gehen?

In vielen Ländern des globalen Südens werden ganze Dörfer entwurzelt und vertrieben, um den Plänen in- und ausländischer Investoren Platz zu machen. Indonesien besitzt einen der artenreichsten und größten Regenwald der Welt. Doch die Hälfte des Areals ist bereits zerstört; Prognosen des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (UNEP) zufolge werden bis zum Jahr 2022 bereits 98 Prozent der Wälder degradiert oder verschwunden sein, wenn die Abholzung im derzeitigen Tempo weitergeht. Der ehemalige Umweltminister Indonesiens Sonny Keraf lässt keinen Zweifel daran, wen er dafür verantwortlich macht. „Die Regierung küsst den ausländischen Investoren die Füße“, monierte Keraf bei einem Treffen mit Delegierten einer kirchlichen Menschenrechtsgruppe. „Es ist immer das gleiche Spiel: Politische Führer brauchen Geld für ihren nächsten Wahlkampf, Unternehmer helfen ihnen aus und im Gegenzug revanchieren sich die Politiker mit Konzessionen von Landflächen.“
Während seiner Amtszeit (1999-2001) hatte sich Keraf durch die Einführung des „Gesetzes für Umweltschutz und Umweltmanagement“ einen Namen gemacht. Es sah vor, den Umweltschutz bei jeder Investitionsentscheidung an erste Stelle zu stellen – eine weltweit einmalige Entscheidung. Doch die Praxis vor Ort ist weit davon entfernt: „Die indonesische Gesetzeslage ist sehr gut, aber die Umsetzung und Implementierung vor Ort lassen zu wünschen übrig“, kritisierte Keraf, dessen Partei für den demokratischen Kampf derzeit in der Opposition sitzt.

Wer in Sumatra über Land fährt, kommt durch zerstörte Waldgebiete und durch Palmölplantagen, vorbei an Zellstoff-Fabriken und Bergbaukonzernen. Monopole und Monokulturen, wohin man schaut. Schon die Frage des Landbesitzes ist in Indonesien höchst umstritten. Aus Sicht der Regierung gehört das Land dem Staat – es sei denn, jemand kann durch einen Grundbrief beweisen, dass er der rechtmäßige Besitzer ist. Doch dies kommt so gut wie nie vor, da solche Dokumente in der Vergangenheit kaum ausgestellt wurden und die Landbehörden sich heute meist weigern, nachträglich Grundbriefe auf der Basis des Gewohnheitsrechts auszustellen. Somit kann die Regierung das Land nach Gutdünken an den meistbietenden Investor verpachten. Eigentlich stünde einem solchen Vorgehen die UN-Erklärung zum Schutz indigener Völker im Weg, nach der Indigene ihre „freie, informierte und vorhergehende Zustimmung“ (FPIC = free, prior and informed consent) geben müssen, ehe ihr Land verkauft wird. Doch die Regierung erkennt die indonesischen Ureinwohner schlichtweg nicht als Indigene an. Weil lokale und regionale Gesetze jedoch von der Jakarta-Doktrin abweichen können, schließen viele Investoren zusätzlich Verträge mit den Bewohnern vor Ort ab.
„Ich kann nicht verstehen, wie Ihr Euer Land verkaufen könnt!“ Pastor Petrus Khariseb aus Namibia, einer der VEM-Delegierten, ist aufgesprungen und blickt kopfschüttelnd in die Runde. 50 Papua-Männer in zerschlissenen Shirts und Sandalen, rauchend. Einer sehe aus wie sein Vater, sagt Khariseb später. „Wir in Namibia kämpfen seit 100 Jahren dafür unser Land zurückzubekommen. Und ihr gebt es einfach so weg. Das Land ist die Mutter des Lebens! Ihr verschenkt Euer Leben – und das Eurer Kinder!“ Khariseb ist während der Apartheid aufgewachsen; seine Eltern haben stets für einen Hungerlohn auf fremden Farmen gearbeitet und nie etwas sparen können. Für einen Moment lang schauen die Männer betroffen, als bereuten sie ihre Entscheidung. Doch dann ergreift der Dorfsekretär das Wort: „Wir haben unser Land verliehen, weil wir ein besseres Leben wollen. Die Regierung ließ uns im Stich, das Geld vom Speziellen Autonomiegesetz haben wir nie gesehen.“ Er hält inne: „Doch es gibt eine neue Freude in unserem Leben. Vor 2010 lebten wir im Dunkeln, doch Rajawali brachte uns das Licht.“ Und ein Dorfbewohner, der sich als CSR (Corporate Social Responsibility)-Manager von Rajawali vorstellt, setzt noch einen drauf: „Rajawali ist wie Moses.“
Ein harter Schlag für die ansässige Kirche, die sich seit Jahren um das Dorf bemüht. „Die Kirchen sollten den Unternehmen zuvorkommen und den Gemeinden eine wirtschaftliche Alternative anbieten”, empfiehlt das Papua-Team in seinem Abschlussbericht. Beispielsweise könne ein Pastor die erste Gemeindeplantage oder den ersten Kiosk eröffnen, ehe es ein Unternehmen tut.

Matius’ Dorf ist erst der Anfang. In zehn Jahren werde es in Papua ebenso aussehen wie jetzt schon in Nord-Sumatra, schätzt Kristina Neubauer, Koordinatorin des West Papua Netzwerkes (WPN) und des Faith-based Network on West Papua (FBN). Im August 2010 startete das indonesische Landwirtschaftsministerium das Agro-Megaprojekt MIFEE (Merauke Integrated Food and Energy Estate), bei dem 1,2 Millionen Hektar Land rund um Merauke in Süd-Papua in Großplantagen umgewandelt werden sollen. Bis 2011 haben bereits 36 Investoren eine Konzession erhalten, um Holz, Zuckerrohr, Mais und Sojabohnen anzubauen.

Die meisten Dörfer stehen mit der Entscheidung alleine da und sind auf die Tricks der Unternehmen nicht vorbereitet. Ihr Schema ist immer das gleiche: Sie sprechen gezielt einflussreiche Gemeindemitglieder an und benutzen diese, um andere zu überzeugen. Ein Batak aus Sumatra erzählte, ihm sei ein teures Auto versprochen worden, falls er sich umstimmen ließe. Und unter dem Deckmantel der „Unternehmensverantwortung“ (CSR) bezahlt Rajawali in Papua einen Dorfbewohner dafür, seine eigenen Leute von den Vorteilen des Landverkaufs zu überzeugen.

Die Unternehmen versuchen auch die Kirchen für sich einzunehmen, etwa durch Spenden an die Gemeinde oder Geschenke an einzelne Kirchenführer. So war ein Pastor nicht bereit, eine der VEM-Gruppen zu treffen, weil er bereits auf der Seite des Bergbauunternehmens stand. Negative Konsequenzen des Agrobusiness verschweigen die Unternehmen. Oft machen sie sich beliebt, indem sie an kulturelle Traditionen anknüpfen: So adoptierte der Leiter eines Bergbauunternehmens ein Kind aus einem Anrainerdorf in Sumatra; einem Papua-Dorf spendierte Rajawali die komplette Weihnachtsfeier, bevor die Dorfchefs dem Vertrag zustimmten.

Die Dorfbewohner sind mit den Entscheidungen oft überfordert; sie haben weder Erfahrung mit Landverträgen noch eine Vorstellung davon, wie die Plantagenwirtschaft ihr Leben und ihr Land umkrempeln wird. Die Verträge sind oft intransparent und nicht einmal zusammengeheftet, so dass das Unternehmen im Nachhinein ohne Weiteres zusätzliche Seiten einfügen kann. Oft werden die Dörfer mit großen Geldsummen geblendet, die – verteilt auf alle Bewohner, die gesamte Zeitspanne und das große Stück Land – allerdings sehr gering ausfallen. Die Summen werden nur einmal gezahlt; eine andere Form der Kompensation, etwa durch alternatives Land oder Häuser, findet nicht statt. Dem häufigen Versprechen, Sozialprogramme in den Gemeinden durchzuführen, entziehen sich die Unternehmen im Nachhinein oft mit dem Argument, sie müssten erst einmal schwarze Zahlen schreiben. Womöglich ließe sich so manche Fehlentscheidung verhindern, wenn sich betroffene Dörfer untereinander austauschen würden. Das Papua-Team empfahl den Kirchen daher, betroffenen Gemeinden einen Anwalt an die Seite zu stellen und den Dialog von Gemeinschaften zu fördern, die den Interessen von Unternehmen ausgesetzt sind.

Die Reaktion der Kirchengemeinden auf die drohende Zerstörung ist so unterschiedlich wie die Persönlichkeiten der jeweiligen Pastöre und Bischöfe: VEM-Teilnehmer Jadasri Saragih wirkt selbst als Pastor in einer Stadt, die in alle Himmelsrichtungen von Palmölplantagen umgeben ist. „Ich hasse Palmöl!”, platzt es gleich bei der Begrüßung aus ihm heraus. Vor jeder Gemeinde auf dem Weg hält er flammende Predigten gegen den Landverkauf – ebenso wie in seiner eigenen Kirche. Doch andere Kirchenführer besitzen selbst Plantagen oder profitieren von Spenden durch Rohstoffunternehmen. Nach dem dringendsten Thema seiner Kirche gefragt, antwortet ein Bischof aus einem dramatisch von Landraub betroffenen Bezirk: „Unser spirituelles Leben.“
Bei einem Treffen mit indonesischen Kirchenführern richteten die Teilnehmer auch eine kritische Botschaft an die Kirchen, die in vielen Ländern selbst Beziehungen zu umstrittenen Unternehmen pflegen – Deutschland eingeschlossen: „Kirchen sollten keine Spenden von Unternehmen annehmen, die Menschenrechte verletzen”, sagte Petrus Sugito, Generalsekretär der GKJTU-Kirche aus dem indonesischen Java. Gemeinsam mit den anderen Delegierten forderte Sugito einen entsprechenden Verhaltenskodex.

„Wenn es so weiter geht, wird unser Wald in wenigen Jahren zu Papier und Plantagen geworden sein, das Wasser wird verschmutzt sein und die Kleinbauern landlos“, folgerte Rannieh Mercado, Leiter des VEM-Asienbüros, nach der dreitägigen Exkursion. „Dann werden unsere Kinder uns fragen: Was habt Ihr in dieser Situation getan?“