Ein Land hat Geburtstag und niemand geht hin

In Kanada wurden mehr als Tausend unmarkierte Gräber mit den Überresten indigener Kinder entdeckt. Manche ahnten das Grauen, doch das “beste Land der Welt” hat die Aufklärung verhindert.

veröffentlicht am 1. Juli 2021 bei ZEIT ONLINE >>, Korri-Gespräch im Podcast “Was jetzt?” von ZEIT ONLINE am 21. Juli >>

O Canada. Zum ersten Mal in Kanadas Geschichte wird die Hymne zum Nationalfeiertag an diesem 1. Juli in vielen Städten nicht zu hören, die Ahornblattflagge nicht zu sehen sein. Das Feuerwerk am See, die Einbürgerungsfeiern – vielleicht ein anderes Mal. Die Provinzhauptstadt Victoria und das Nationalmuseum für Geschichte haben ihre geplanten Veranstaltungen abgesagt. Kleinere Städte wie Penticton und La Ronge sind gefolgt. Die Indigenen-Bewegung Idle No More ruft unter dem Hashtag #CancelCanadaDay im ganzen Land zu Protesten auf.

Sara Brooke Cadeau sitzt im Schatten vor Vancouvers Kunstgalerie, wo der von ihr mitorganisierte Idle-No-More-Protest starten wird. “Was sollen wir denn feiern?”, fragt sie. Sie blickt über den Platz, auf dem Passanten stehen bleiben und Freiwillige in einem Zelt Wache halten. Die neoklassizistische Treppe zum Eingang des Museums ist fast vollständig von Kerzen, Briefen, Stofftieren und Kinderschuhen bedeckt. 215 Paar Schuhe – in Erinnerung an die Kinder, deren Überreste in einem unmarkierten Massengrab auf dem Gelände eines ehemaligen Indigenen-Internats in Kamloops (British Columbia) gefunden worden sind. Einige Körperspuren waren so klein, dass es sich nach Schätzung der Radartechniker um Dreijährige gehandelt haben muss.

Das war Ende Mai. Es folgten Bodenradaruntersuchungen an anderen ehemaligen Internaten in Brandon (Manitoba), Marieval (Saskatchewan) und Crankbrook (British Columbia) – mit 104, 751 beziehungsweise 182 weiteren Grabfunden. “Wir stellen trotzdem keine Schuhe mehr dazu”, sagt Cadeau und atmet tief durch. Sie ist sicher, dass die Funde erst der Anfang sind.

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