„Neue Ideen für eine neue Welt“ versprach das offizielle Motto des G-20-Gipfels in Cannes, und die Willkommensplakate legten noch eins drauf: „Cannes – hier wird Geschichte geschrieben“. Mitten auf der zweiten Welle der globalen Finanzkrise schien das Treffen der Staats- und Regierungschefs der einflussreichsten Industrie- und Schwellenländer eine Wende herbeiführen zu können, vor allem dank der Idee, eine Art Mehrwertsteuer für riskante Börsengeschäfte einzuführen: die Finanztransaktionssteuer. Doch dann kam die Euro-Krise und die eigentliche Agenda fiel unter den Verhandlungstisch: neben der Steuer auch Ernährung, Nahrungsmittelsicherheit und Klimawandel – Themen, an denen das Leben und Wohlergehen von Milliarden Menschen hängt.
Die Entscheidung war längst überfällig: Schon beim vorvorletzten G-20-Gipfel in Pittsburgh 2009 war beschlossen worden, dass sich der Finanzsektor an den Kosten der Krisenbewältigung beteiligen solle. Die FT-Steuer ist ein kleines, feines Regulierungsinstrument, das Robin Hood nicht besser hätte erfinden können: Sie streut Sand ins Getriebe der rasanten Transaktionen, die die Finanzkrise und indirekt auch die Euro-Krise verantwortet haben. Der angedachte Steuersatz von 0,05 Prozent wäre so minimal, dass er Kleinanleger kaum träfe – wohl aber diejenigen, die in Bruchteilen von Sekunden utopische Summen hin- und herschieben: Wertpapiere, Derivate und Devisen, deren Summe das weltweite Bruttosozialprodukt 2010 um das 70-fache überstiegen. Die Krümel, die von diesem Kuchen abfallen, verteilt die FT-Steuer gerecht um: Bis zu 300 Milliarden Euro könnten eingesetzt werden, um die Folgen der Finanzkrise zu mildern, die weltweite Armut zu bekämpfen und die Folgen des Klimawandels einzudämmen.
Hätte, könnte, wäre. Die G-20 ist an der Aufgabe kläglich gescheitert. Über die geplante globale Steuer hieß es im Abschlussbericht lapidar: „Wir erkennen die Initiativen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in einigen unserer Staaten an.” Sprich: Macht mal – aber nicht mit uns. Überraschend, dass neben den üblichen Verdächtigen auch BRIC-Staaten wie China und Indien den europäischen Entwurf ablehnten. Dabei hätten sie gute Gründe für eine Zustimmung gehabt: Die Chinesen hätten so den Crash an den eigenen Börsen abwenden können, und Indien könnte Unterstützung durch zusätzliche Entwicklunsgelder gut gebrauchen.
Der FT-Steuer haftet etwas Utopisches an, denn sie würde in einer solidarischen Welt am besten funktionieren – gerade dort wäre sie jedoch gar nicht nötig. Seit dem Scheitern in Cannes schwindet die Einigkeit unter den EU-Finanzministern; Kritiker befürchten, das Geschäft könne in andere Regionen abwandern, wenn die Eurozone die Steuer im Alleingang erhöbe. Doch das ist Unsinn: Zum einen haben schon Dutzende Staaten ohne erkennbare Nachteile eine vergleichbare Steuer eingeführt. Zudem findet Börsenhandel nie zur gleichen Zeit statt; schon die flächendeckende Einführung in einer Zeitzone wäre ein Erfolg mit weltweiter Ausstrahlung.
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