„Holen Sie Ihre Leichen aus dem Keller”

Unternehmen dürfen gerne humanitäre Projekte fördern, findet die CSR-Expertin der Vereinten Nationen – wenn sie vorher ihre eigenen Missstände beseitigen. Ein Gespräch über Sinn und Unsinn von freiwilligen Regeln, die Gefahr des Greenwashings und die Moral von Coca-Cola und Co.

veröffentlicht im Südlink 09/2012,  S. 20f >>

Margaret Jungk hat jahrelang untersucht, wie sich Konzerntätigkeiten im globalen Süden auf die Menschenrechtssituation vor Ort auswirken. In mehreren Fällen hat Jungk die Verhandlungen zwischen  Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Gruppen geführt und damit die Grundlage für die UN-Ruggie-Richtlinien gelegt, die sie seit 2011 umsetzt – als Leiterin der UN-Arbeitsgruppe über Menschenrechte und transnationale Konzerne.

Frau Jungk, warum ist es so wichtig, nicht nur mit Staaten über Menschenrechte zu sprechen, sondern auch mit Unternehmen?
Viele Unternehmen machen den Fehler, Menschenrechte als reines Thema der Politik zu betrachten und die Verbindung mit der Privatwirtschaft zu ignorieren. Dieses Denken stammt noch aus der Zeit, als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte formuliert wurde: 1948, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, betrachtete man Staaten als größte potenzielle Gefährder und Beschützer solcher Rechte. Die wachsende Macht multinationaler Konzerne mit ihrer enormen Auswirkungen auf die Menschenrechte sahen nur wenige voraus. Heute habe ich oft in Gegenden der Welt zu tun, in denen Unternehmen für die Bevölkerung viel präsenter sind als die Regierung – in abgelegenen Bergbaustädten zum Beispiel.
Was sollte so ein Bergbauunternehmen tun, um seiner Verantwortung gerecht zu werden – und was sollte es der Regierung überlassen?
Der Begriff Corporate Social Responsibility wird sehr unterschiedlich verstanden. Das kann zu Konflikten führen, zum Beispiel wenn ein Dorf von einem ortsansässigen Unternehmen fordert, ein Krankenhaus oder ein Fußballstadion zu bauen – was meist gar nicht dessen Aufgabe ist. Der UN-Arbeitsgruppe ist es daher sehr wichtig, CSR genau zu definieren und abzugrenzen: Ein Unternehmen darf keine Rechte verletzen, etwa das Recht auf angemessenen Wohnraum. Allerdings ist es auch nicht verpflichtet, aktiv für diese Rechte einzustehen und beispielsweise Häuser zu bauen. Die aktive Förderung ist Aufgabe des Staates.

Bereits 2000 haben die UN einen Pakt mit Unternehmen geschlossen, der dafür sorgen sollte, das Menschenrechte eingehalten werden: den Global Compact. Warum setzt Ihre Arbeitsgruppe mit den Ruggie-Guidelines noch einen drauf?
Der Global Compact war ein erster Schritt, um Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen und deren Partner zu bekämpfen. Doch dieser Pakt ist sehr abstrakt; die Unternehmen haben offenbar Probleme, die Prinzipien in die Praxis umzusetzen. Die neuen UN-Leitlinien machen konkret deutlich, was unternehmerischer Respekt und gebotene Sorgfalt („Due Diligence“) bedeuten, was in den Verantwortungsbereich der Staaten fällt und wie Unternehmen diejenigen entschädigen müssen, die unter ihren Rechtsbrüchen leiden.
Müssen oder können? Bislang sind die UN-Leitlinien ja freiwillig. Glauben Sie, dass man so wichtigen Entscheidungen den Unternehmen überlassen kann anstatt verbindliche, sanktionierbare Regeln zu schaffen?
Das ist ein generelles Problem der Menschenrechtsarbeit: Es gibt keine Weltpolizei, die einem Staat oder einem Unternehmen bei Verstößen mit Sanktionen drohen kann. Das System der internationalen Menschenrechte bezieht seine Kraft aus einem viel weicheren Mechanismus: Jedes Unternehmen ist Teil der internationalen Wirtschaftsgemeinschaft. Wenn die Verbraucher seine Produkte nicht mehr kaufen, wenn Gemeinschaften protestieren, sobald sich ein bestimmter Konzern in der Gegend niederlassen will, wenn die internationalen Arbeitgeber- oder Unternehmensverbände das Unternehmen ablehnen und wenn Finanziers ihm Darlehen verweigern, hat das ebenfalls eine starke Wirkung.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass Unternehmen CSR-Aktivitäten für Greenwashing missbrauchen: Dass sie also öffentlich etwas Gutes tun, um vom Schaden abzulenken, den sie anrichten. Im sogenannten „CSR-Forum“ auf dem Erdgipfel in Rio hat Chevron beispielsweise einen 50-Millionen-Dollar-Plan vorgestellt, mit dem es die Lebensqualität im Nigerdelta verbessern will, indem es die Gegend „entwickelt“ und Konflikte reduziert. Das klingt großzügig und philanthropisch, lässt aber außer Acht, dass Chevron viele dieser Konflikte selbst verursacht hat und mit der rücksichtslosen Ausbeutung von Erdölvorkommen Gewinne in Milliardenhöhe macht. Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen einer „guten“ und einer „schlechten“ CSR-Initiative?
Mir fällt ein anderes schlechtes Beispiel ein: Es gibt eine Firma, die ein wunderschönes Opernhaus für eine Stadt gebaut hat, den dort beschäftigten Wanderarbeitern aber nicht einmal das Existenzminimum gezahlt hat. Wir haben herausgefunden, dass Unternehmen in bestimmten Bereichen deutlich mehr tun als ihre Pflicht, vor allem bei hochkarätigen Projekten, in denen sie Kultur oder Kinderrechten fördern. Zugleich liegen Konzerne auf anderen Gebieten deutlich unter dem Soll – meist in Bereichen, denen Medien und Nichtregierungsorganisationen weniger Aufmerksamkeit widmen.
Was raten Sie einem Unternehmen, das seine Verantwortung ernsthaft wahrnehmen will?

Holen Sie bitte zuerst die Leichen aus Ihrem Keller! Durchkämmen Sie das gesamte Unternehmen danach, wo es der Gesellschaft Schaden zufügt, und beheben Sie diese Missstände! Dann erst sollte sich das Unternehmen aktiven Förder- oder Werbemaßnahmen widmen. Anschließend steht es ihm frei, strategische CSR-Maßnahmen in bestimmten Bereichen zu ergreifen, die über seine Pflicht hinausgehen – sei es als Teil der Öffentlichkeitsarbeit oder um die nachbarschaftlichen Beziehungen zu fördern. Voraussetzung ist es jedoch, zuerst vor der eigenen Tür zu kehren – vor allem für große Unternehmen, die zu jedem Zeitpunkt großen Schaden anrichten können.
Die UN-Arbeitsgruppe beginnt gerade damit, die neuen Richtlinien umzusetzen. Viele Unternehmen glauben ja, sie trügen nur für ihre Aktionäre Verantwortung und nicht für die Gesellschaft als Ganzes. Wie wollen Sie solche Unternehmen überzeugen? Werden Sie denen auch sagen: „Bitte holen Sie mal ihre Leichen aus dem Keller”?
In der Tat haben wir eine sehr schwierige Etappe vor uns. Die erste Frage für uns ist: Wie können wir unsere Leitsätze auf operative Methoden und Ansätze herunterbrechen? Zum Glück haben schon viele Akteure unsere Prinzipien aufgegriffen, zivilgesellschaftliche Organisationen zum Beispiel.
Für Sie ist diese Herausforderung ja nicht ganz neu: Als Abteilungsleiterin des Dänischen Instituts für Menschenrechte haben Sie versucht, große multinationale Konzerne wie Nestlé, Shell oder Coca-Cola davon zu überzeugen, Menschenrechte besser zu schützen. Wie haben Sie das angestellt?
Unternehmen haben sehr unterschiedliche Motivationen und Philosophien. Manchmal kommt das Signal von ganz oben – von einem engagierten Firmenchef oder dem höheren Management. Andere Unternehmen beginnen über CSR-Maßnahmen nachzudenken, wenn sie mit einem riskanten Projekt in ein neues Land gehen. Dann implementieren sie vorbeugend CSR-Maßnahmen in allen Projektzyklen sowie in ihren Richtlinien zur Neuerschließung.
Andere Unternehmen hingegen reagieren erst auf Druck von außen: Etwa wenn Finanziers als Voraussetzung für einen Kredit verlangen, dass es seine Auswirkungen auf die Menschenrechte transparent macht. Andere Konzerne gehen das Thema CSR als Teil ihres Risikomanagements an, nachdem sie sich schlechte Presse oder einen Konflikt mit der Zivilgesellschaft eingehandelt haben. Die Motivation, aus der heraus sich ein Unternehmen seiner Verantwortung stellt, prägt anschließend auch den Charakter seiner CSR-Projekte.

Welche Firmen erreichen Sie am schlechtesten?
Das ist schwer zu sagen. Die Bekleidungsindustrie hat sich zum Beispiel zwar mit Kinderarbeit auseinandergesetzt, zeigt aber Schwierigkeiten, auch in anderen Bereichen über Menschenrechtsverletzungen nachzudenken. Lange Zeit übersehen wurde die IT-Branche, in der immer wieder Konzerne das Recht auf Privatsphäre und freie Meinungsäußerung verletzen. Die größte Erfahrung, die erprobtesten Systeme und die ausgefeilteste Rhetorik haben hingegen die Unternehmen der Rohstoffindustrie.

… die aber auch die größten Schaden verursachen.
Ja, daher sind sie ganz offensichtlich gezwungen, sich mit dem Thema befassen. Und sie tun mit Sicherheit noch nicht genug, wenn man bedenkt, welche Auswirkungen sie vor Ort haben.

Ihr Mandat dauert bis 2014. Was wollen Sie bis dahin bewirken?
Bisher kennen nur relativ wenige Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft die UN-Leitprinzipien. Deshalb müssen wir sie bekannt machen und Unternehmen bei ihrer Umsetzung beraten. Außerdem wollen wir sie in die Global Governance einbetten, indem wir sie dort einsetzen, wo sich die wichtigsten Akteure treffen – eine unserer ersten Stationen war etwa der Erdgipfel in Rio.

Übersetzung aus dem Englischen
In ihrem Leben vor der UN hat Margaret Jungk die Abteilung für Menschenrechte und Wirtschaft im Dänischen Institut für Menschenrechte (DIHR) gegründet und geleitet. Die Politologin hat an der Universität Cambridge über Internationale Menschenrechtsgesetzgebung promoviert. Jungk ist im US-Staat Iowa geboren und lebt in Dänemark.
Foto: UN Photo Geneva