„Rio minus 20“

Merkel schwänzt den Erdgipfel – ein Affront gegenüber dem globalen Süden.

Kommentar veröffentlicht im SÜDLINK, dem Nord-Süd-Magazin von Inkota, 06/2012, S. 4 >>

Von der Aufbruchstimmung beim Erdgipfel 1992 und den monatelangen Vorbereitungen ist kurz vor Beginn der 4. UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung nichts mehr zu spüren. Dass nun auch die einstige „Klimakanzlerin“ Angela Merkel der Konferenz fernbleiben will, ist ein Affront gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern, die mit großen Delegationen und Hoffnungen nach Brasilien reisen. Es geht in Rio um nicht weniger als die Bekämpfung der Armut und der ökologischen Krise des Planeten. Gilt das in Deutschland als Ressortaufgabe, die man den Herren Niebel und Altmaier überlassen kann – einem wirtschaftsnahen Entwicklungsminister und einem Amtsneuling, der von Umweltthemen keinen blassen Schimmer hat?
„Rio minus 20“ haben brasilianischen Medien die Konferenz bereits getauft. Der im Januar veröffentlichten Entwurf für die Abschlusserklärung lässt befürchten, dass das UN-Umweltprogramm dabei ist, den Erdgipfel in die falsche Richtung zu steuern: weg von staatlicher Verantwortung für Umweltfragen und hin zu einem privatisierten Handel mit Ressourcen. Außerdem bahnt sich ein Nord-Süd-Konflikt an, da im Entwurf klare Aussagen zu Armutsbekämpfung, Technologietransfer und nationaler Wirtschaftsentwicklung fehlen.
Rio ist eigens um zwei Wochen verschoben worden, damit es nicht mit dem Kronjubiläum der britischen Queen kollidiert und möglichst viele Staatsoberhäupter kommen können.Was ist es also, das Merkel davon abhält nach Rio zu fahren? Die Fußball-EM? Die europäische Währungskrise? Es ist doch paradox: Mit den Folgen der Weltfinanzkrise beschäftigt, kicken die Staats- und Regierungschefs der großen Volkswirtschaften Rio+20 von ihrer Tagesordnung – neben Merkel werden auch James Cameron und Barack Obama fehlen. Dabei wäre Rio eine gute Gelegenheit, eine Alternative zu unserem derzeitigen Wirtschaftsmodell zu suchen, das spätestens seit dem Finanzmarktkollaps von 2008 als gescheitert gelten darf.
Merkel hat den Ruf einer erfahrenen Verhandlungsführerin auf internationalen Klimakonferenzen; als Umweltministerin hatte sie 1995 maßgeblichen Anteil an der Durchsetzung des Kyoto-Protokolls, indem sie skeptische Industrieländer ins Boot holte. Umso fataler jetzt das Signal. Die brasilianische Wirtschaftszeitung Valor sieht in ihrer Absage ein „schlechtes Vorzeichen“ für die Konferenz und die Tageszeitung Folha schrieb – kurz vor Röttgens Rauswurf: „Die abwesenden Staatsführer sind das eigentliche Problem, vor allem Angela Merkel, die uns jeden Tag daran erinnert, dass ihr Umweltminister Norbert Röttgen ‘wahrscheinlich’ komme.“
Von der deutschen Vorreiterrolle ist nicht viel geblieben: Statt sich für Technologietransfer und gerechtere Handelsbedingungen einzusetzen, versucht Deutschland vor allem Rohstoffe für die eigene Industrie zu sichern sowie Konsum und Export anzukurbeln.
Meine Zukunft zu verlieren ist etwas anderes als eine Wahl zu verlieren oder ein paar Punkte an der Börse“, sagte die damals 12-jährige Severn Suzuki in ihrer Rede vor Staats- und Regierungschefs auf dem Erdgipfel 1992. Merkel sollte ihre Entscheidung noch einmal überdenken und den kleinen Schlenker vom G20-Gipfel in Mexiko über Rio in Kauf nehmen.
Headerfoto: Filmstill David Suzuki FDN