Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Unternehmerneffe Sebastian Koeppel übernimmt die Saftkelterei Beckers Bester in schwierigen Zeiten – eine Zerreißprobe zwischen Tradition und Markt

veröffentlicht in der Welt am Sonntag, 02/2011 >> und Online >>

Sind Sie der Erbe?” wird Sebastian Koeppel oft gefragt. Das bringt selbst den ruhigen Niedersachsen auf die Palme: “Mir wurde nichts geschenkt.” Für die Chance seines Lebens hat er auf vieles verzichtet. Koeppel ist 33 Jahre alt. Als seine Kommilitonen das Studienende feierten, nahm Koeppel einen Kredit auf, um seinem Onkel Karl-Otto Becker die Hälfte des Familienunternehmens abzukaufen. Branchenexperten rieten ihm ab: Binnen weniger Jahre hatte sich die Fruchtsaftmarkt radikal verändert. Die Deutschen trinken immer weniger Saft für immer weniger Geld, am liebsten aus Einwegpackungen. Die Branchenriesen schwenkten um, Beckers Bester haderte mit der Tradition.

Süßlicher Dampf steigt hinter dem Gutshof im südniedersächsischen Lütgenrode auf. Die Beckers kennt hier jeder, eine der wenigen Straßen des 300-Seelen-Dorfs ist sogar nach Koeppels Urgroßmutter Bertha Becker benannt. Die Bäuerin begann 1932 überschüssige Äpfel in Süßmost zu verwandeln – der Grundstein für einen der zehn größten deutschen Keltereibetriebe, der heute schon in vierter Generation geführt wird.

Sebastian Koeppel begrüßt jeden Mitarbeiter mit Handschlag, einige duzt er. Mit Beckers Bester ist es für Koeppel wie mit dem VfL Wolfsburg. Seinem Heimatclub hält er seit Ewigkeiten die Treue – auch und gerade, als er in die zweite Liga abzurutschen drohte. Klar wäre es einfacher, ein Start-up auf den Markt zu steuern als so einen altehrwürdigen Dampfer. “Doch ich kann nicht bei jedem Gegenwind aufgeben.”

Ferienjobs bei Beckers Bester, Bundeswehr, BWL-Studium und zurück zu Beckers Bester – Sebastian Koeppels bisheriges Berufsleben ist unfassbar geradlinig verlaufen. “Fast zu geradlinig”, sagt er heute selbst. Doch die Onkel kamen ins Rentenalter und Koeppel fürchtete, seine Chance zu verpassen.

“Ich war wirklich ein Grünschnabel, als ich bei Beckers Bester anfing”, sagt er heute. Er wollte es allen beweisen: Mit 30 Jahren war er verheiratet, stand gemeinsam mit seinem Onkel Ernst Becker 200 Mitarbeitern vor, legte sich einen seriösen Seitenscheitel und eine randlose Brille zu. Manchmal saß er von sechs bis 22 Uhr im Büro und dachte auch nachts noch an sein Unternehmen: “Die Firma war die Geliebte, mit der ich ins Bett ging und mit der ich morgens wieder aufwachte.” Seine Frau passte immer weniger in dieses Leben: Sie ließ sich scheiden.

Inzwischen kann Sebastian Koeppel über seine “spießige Phase” lachen. Koeppel verstand, dass er seinen eigenen Weg suchen musste. Im Bundesverband Junger Unternehmer (BJU) lernte er Familienunternehmer kennen, die ähnliche Startschwierigkeiten hatten. Und eine Frau, die seine Hingabe für die Firma versteht – zumal sie selbst bald gründen will.

Koeppel nutzt jede Chance, um sich anzueignen, was kein BWL-Studium vermitteln kann: gutes Unternehmertum. Als BJU-Vize trainiert er das Reden und Repräsentieren, Kleinkunden lassen ihn fühlen, wie der Markt tickt und Unternehmensberater halfen ihm, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Einmal pro Woche hält Koeppel eine Sprechstunde für alle Mitarbeiter aus der Produktion ab, auch die Putzfrauen kommen. Eine gute Unternehmenskultur ist ihm wichtig: “Nur damit können wir Mitarbeiter locken, nicht mit dem großen Gehalt.”

Er versucht die Balance zwischen Tradition und Markt, Idealen und Pragmatismus: Als der Mehrwegmarkt zusammenbrach, führten auch die Beckers Einweggebinde ein. Zwar schwört das Unternehmen auf umweltschonende Verfahren. “Aber wir sind keine Überzeugungstäter, das muss sich betriebswirtschaftlich schon lohnen”, betont Koeppel. Was darüber hinaus geht, ist für ihn “Ökoromantik”. Photovoltaik oder Fairer Handel? Zu teuer.

Koeppel denkt an die nächste Generation: “Meine eigenen Nachfolger sollen erst einmal ihre Freiheit genießen, bevor sie bei Beckers Bester einsteigen.” Die Weltwirtschaftskrise konnte den Beckers wenig anhaben: “Getrunken wird immer”, kommentiert Sebastian Koeppel und nippt an Beckers neuestem Produkt, dem “milden Multi”. An diesem Tag spielt der VfL Wolfsburg gegen Bayern München 1:1. Die Kleinen holen auf.