Die Stille des Nachmittags liegt schwer auf Villa el Salvador, einer Wüstenstadt kurz vor Lima. Nur ein Hund trottet müde über die Straße. Plötzlich stoppt er und stellt die Ohren auf. War das ein Trommelwirbel? Und erscheint dort tatsächlich ein Clownshut hinter dem Hügel? Eine Schar bunt gekleideter Gestalten zieht heran. Ihre Stelzen wirbeln den Wüstensand auf, ihre Trommeln treiben den Puls des Viertels nach oben. Kinder luken hinter Türen hervor und schließen sich der Wüstenkarawane an, ihr Lachen erfüllt die Luft. Villa el Salvador ist wie verwandelt, die Stadt ist wieder sie selbst.
Die jungen MusikerInnen und AkrobatInnen gehören zum Theaterkollektiv „Arena y Esteras“, deren Name die Flüchtlinge feiert, die hier mit nichts als Sand und Strohmatten eine Siedlung schufen. Heute leben weit über 400.000 Menschen in Villa el Salvador. Wegen ihrer einzigartigen Selbstverwaltung und Solidarität gilt die Stadt als Vorbild und wurde von der UN als „Friedensbotschafterin“ ausgezeichnet.
Dabei hätte alles im Chaos versinken können: Als die Terrororganisation „Sendero Luminoso“ Anfang der Neunziger Jahre in die Stadt eindrang, sich Schlachten mit dem Militär lieferte und die populäre Bürgermeisterin María Elena Moyano ermordete. Als Kinder „Terroristen und Militär” spielten anstatt zur Schule zu gehen. Doch inmitten von Aufmärschen, Autobomben und Verhaftungen ging die damals sechzehnjährige Ana Sofia Pinedo auf die Straße. Nicht mit Parolen und Megaphon, sondern mit einer Clownsnase. „Die Terroristen verbreiteten Angst und Sprachlosigkeit. Wir hielten Fantasie und Lachen dagegen.” Ihre Furchtlosigkeit war ansteckend: Gemeinsam demonstrierten Hunderttausende BewohnerInnen gegen den Terror und gewannen ihren Alltag zurück.
Während die Hauptstadt – und mit ihr die Konsumgesellschaft – immer näher rückt, versucht Arena y Esteras die Werte der Wüstenstadt zu bewahren. „Wir wollen nicht nur Akrobaten ausbilden, sondern junge Leute, die Verantwortung in ihrer Gemeinschaft übernehmen”, sagt die mittlerweile 35-jährige Ana Sofia Pinedo, deren Theaterkollektiv zu einer renommierten Schule herangewachsen ist. Flor (Foto oben) nimmt erst seit drei Jahren an den kostenlosen Kursen teil und ist schon eine talentierte Trommlerin, Trapezartistin und Rednerin. Zusammen mit sechs anderen Jugendlichen tourt sie zur Zeit mit ihrem Stück “Moo” durch Deutschland. Darin geht es um Kinder, die durch familiäre Gewalt, harter Arbeit oder die Anonymität der Großstadt einfach verschwinden. Flor und die anderen haben das Stück selbst geschrieben. Viele von ihnen stammen selbst aus zerrütteten Familien, manchmal klopfen sie mitten in der Nacht an Ana Sofia Pinedos Tür, weil sie Rat oder einen Schlafplatz suchen. Bei Arena y Esteras finden sie beides – und ihr Lachen. [/two_columns]