Die Wüste wecken

Was tun, wenn die eigene Stadt nach einem Bürgerkrieg einfach nicht erwachen will? Wenn sich alle in ihren Häusern einschließen und niemand mehr mit seinem Nachbarn spricht? In der Wüstenstadt Villa el Salvador ging eine 16-Jährige mit Clownnase auf die Straße. Ihr folgten viele – bis heute.

veröffentlicht im Südlink 2/2013  >>, auf der Peace Boat-Website auf Englisch >> sowie auf Spanisch >>

Die Stille des Nachmittags liegt schwer auf Villa el Salvador, einer Wüstenstadt kurz vor Lima. Nur ein Hund trottet müde über die Straße. Plötzlich stoppt er und stellt die Ohren auf. War das ein Trommelwirbel? Und erscheint dort tatsächlich ein Clownshut hinter dem Hügel? Eine Schar bunt gekleideter Gestalten zieht heran. Ihre Stelzen wirbeln den Wüstensand auf, ihre Trommeln treiben den Puls des Viertels nach oben. Kinder luken hinter Türen hervor und schließen sich der Wüstenkarawane an, ihr Lachen erfüllt die Luft. Villa el Salvador ist wie verwandelt, die Stadt ist wieder sie selbst.

Die jungen MusikerInnen und AkrobatInnen gehören zum Theaterkollektiv „Arena y Esteras“, deren Name die Flüchtlinge feiert, die hier mit nichts als Sand und Strohmatten eine Siedlung schufen. Heute leben weit über 400.000 Menschen in Villa el Salvador. Wegen ihrer einzigartigen Selbstverwaltung und Solidarität gilt die Stadt als Vorbild und wurde von der UN als „Friedensbotschafterin“ ausgezeichnet.

  • The Japanese NGO Peace Boat visited its partner organisation Arena y Esteras.
  • Flor is fourteen, the age Ana Pinedo was, when Villa El Salvador was caught in the middle of a violent conflict.
  • Arena y Esteras often walks through poor neighbourhoods of Villa El Salvador - "bringing smiles to children who really need it".
  • By teaching theatre and circus arts to local youths for two decades, Arena y Esteras has been spreading hope and new visions to the community.
  • Peace Boat participants enjoyed mingling with local children and teaching them origami.
  • When theatre founder Ana Sofía Pineda was a teenager, Villa El Salvador was invaded by terrorists and soldiers.

Dabei hätte alles im Chaos versinken können: Als die Terrororganisation „Sendero Luminoso“ Anfang der Neunziger Jahre in die Stadt eindrang, sich Schlachten mit dem Militär lieferte und die populäre Bürgermeisterin María Elena Moyano ermordete. Als Kinder „Terroristen und Militär” spielten anstatt zur Schule zu gehen. Doch inmitten von Aufmärschen, Autobomben und Verhaftungen ging die damals sechzehnjährige Ana Sofia Pinedo auf die Straße. Nicht mit Parolen und Megaphon, sondern mit einer Clownsnase. „Die Terroristen verbreiteten Angst und Sprachlosigkeit. Wir hielten Fantasie und Lachen dagegen.” Ihre Furchtlosigkeit war ansteckend: Gemeinsam demonstrierten Hunderttausende BewohnerInnen gegen den Terror und gewannen ihren Alltag zurück.

Während die Hauptstadt – und mit ihr die Konsumgesellschaft – immer näher rückt, versucht Arena y Esteras die Werte der Wüstenstadt zu bewahren. „Wir wollen nicht nur Akrobaten ausbilden, sondern junge Leute, die Verantwortung in ihrer Gemeinschaft übernehmen”, sagt die mittlerweile 35-jährige Ana Sofia Pinedo, deren Theaterkollektiv zu einer renommierten Schule herangewachsen ist. Flor (Foto oben) nimmt erst seit drei Jahren an den kostenlosen Kursen teil und ist schon eine talentierte Trommlerin, Trapezartistin und Rednerin. Zusammen mit sechs anderen Jugendlichen tourt sie zur Zeit mit ihrem Stück “Moo” durch Deutschland. Darin geht es um Kinder, die durch familiäre Gewalt, harter Arbeit oder die Anonymität der Großstadt einfach verschwinden. Flor und die anderen haben das Stück selbst geschrieben. Viele von ihnen stammen selbst aus zerrütteten Familien, manchmal klopfen sie mitten in der Nacht an Ana Sofia Pinedos Tür, weil sie Rat oder einen Schlafplatz suchen. Bei Arena y Esteras finden sie beides – und ihr Lachen. [/two_columns]