Probieren geht über Studieren

Bewerbungsrituale. Dieses Mal: Berliner Journalistenschule

Sonntag, 26.11.2006:
Schon im ICE nach Berlin holt mich die Berliner Politik wieder ein oder schon ab. Gerade eingeschlummert scheint mir mein Kopf einen Streich zu spielen wie so oft in den letzten drei Wochen, in denen ich so manches Mal mit einer UN-Mission im Kopf und dem Kopf auf dem Weltalmanach in der Nacht aufgeschreckt bin. Jetzt also wieder: „Harald Schwingtorff… habe gestern mit ihm telefoniert… er fühle sich nicht so gut, wird wohl nicht zur Ausschusssitzung kommen.“ Das wird ja immer schöner!
Ein Glück, dass diese Stimmen nicht aus meinem Kopf kommen, sondern von der Bank hinter mir. Der ganze Zug sitzt voller Abgeordnete, alle auf dem Weg zwischen dem Familienwochenende im Wahlkreis und ihrem Bundesratssessel, man könnte die Sitzungen wahrscheinlich gleich hier abhalten. Im Aufstehen drehe mich unauffällig um. Generalprobe für den Bildertest, der einen Teil der Aufnahmeprüfung ausmacht: Zwei ältere Damen, sehr gepflegt, sehr getöntes Haar, bunte Schals, üppige Fingerringe – und mir völlig unbekannt.
Ankunft im Berliner Hauptbahnhof. Wenn ich es geahnt hätte, hätte ihm mehr Beachtung geschenkt als allen Bundesratsabgeordneten zusammen. Hätte Reisende gefragt: Und, wie gefällt er ihnen? – Berliner: Ist es nicht schade um den Bahnhof Zoo? Und die Kosten für die Stadt..? – Ausländer: Monsieur, comment est-ce que vous vous débrouillez ici ? – Se siente bien guiada en la nueva estación central, Senora ? – Geschäftsinhaber : Wie läuft der Laden ? – Die Polizei: Und? Schon viele Einsätze gehabt? – Aber noch hatte ich ja keine Ahnung, dass eben dieses Bauwerk unser Reportagethema des nächsten Tages sein würde…

Montag, 27.11.2006
Am nächsten Tag sind wir überraschend „Gäste der Deutschen Bahn“, die uns mit Schnittchen, Wasser und einem Übermaß an Informationen zum neuen Berliner Hauptbahnhof versorgt, dessen Einweihung nun gerade sechs Monate zurückliegt. Vier Pressesprecher wie sie im Buche stehen bemühen sich redlich, uns vor eigenständiger Beobachtung und kritischen Nachfragen abzuschirmen, doch wir lassen uns nicht für PR-Berichte gewinnen, sondern fragen nach dem Architektenprozess („Keine Auskunft.“), den mangelnden Serviceeinrichtungen („Man kann auch alles schlecht reden!!“). Dann geht alles plötzlich sehr schnell. In zwei Büroräumen werden Computer und Drucker aufgebaut, die in unseren riesigen Koffern quer durch Deutschland gereist sind. Zwei Mädchen kamen gar mit dem Laptop aus Italien. Über den anachronistischen Vorschlag mit der Schreibmaschine mussten wir bloß schmunzeln; für so viel Nostalgie waren die zwei Stunden zu knapp bemessen. Und das waren sie auch so: Kaum jemand las seinen Text noch einmal Korrektur und erst in den letzten Minuten ratterten die Drucker simultan unsere Texte hervor.
Direkt im Anschluss der Bildertest: Es galt zwar keine schleswig-holsteinischen Abgeordneten zu erkennen, doch mit James Baker und Mohamed el-Baradei taten wir uns schwer genug. Da hatte man nun gerade den Weltalmanach auswendig gelernt und das Gleichstellungsgesetz studiert – und dann hält man Milton Freeman für den gleichzeitig verstorbenen Simon Wiesenthal und versetzt die Staatsoper unter den Linden ans Spreeufer.

Dienstag, 28.11.2006
Der Eingangsbereich des „Berliner Verlags“ gleicht an diesem Dienstag einem Ameisenbau. Aus den U-Bahn-Stationen ‚Alexanderplatz’ und ‚Rosa-Luxemburg-Platz’ schlüpfen alle paar Minuten junge Menschen in edlem Zwirn. Es ist leicht zu erkennen, wer das Prüfungsgespräch schon hinter sich hat und wer noch darauf wartet. Letztere drehen einsam noch ein paar Runden um den Zeitungsturm und sich selbst eine letzte Zigarette und werfen den fröhlichen Grüppchen der Wissenden neidische Blicke oder eilige Fragen zu.
Während wir oben warten und mehr ritualhaft als aufmerksam Zeitung lesen, kommt eine große Blonde herein, ganz souverän. Keine Nervosität? Keine erschreckten Blicke auf die Prüferliste: „Was, jemand von der BamS ist dabei? Was titelt die Bild heute denn?“ Die Gedanken hinter unseren Blicken sind leicht zu erraten: Wer hier so selbstbewusst aufkreuzt, wird bestimmt genommen… Stimmt sogar, aber nicht in diesem Jahr; die junge Frau ist Schülerin der aktuellen Lehrredaktion. „Unsere Vorgängerin“ würden wir am liebsten hinzufügen. Heimlich studiert jetzt wohl jeder im Raum ihre Haltung, ihre Stimme, ihre Wortwahl – so auftreten, gleich, vor der Prüfungskommission! Schließlich hatte sie vor einem Jahr „das gewisse Etwas“. „Matthias, die Reportage ist fertig. Wir drucken die Zeitung dann mal, ja?“
Wer den Ausbildungsleiter „Matthias“ nennen darf, hat es geschafft! Zum dritten Mal macht Herr Volkmar dieses Spektakel erst mit. Doch ob er noch mitfiebert, ob er schon persönliche Favoriten hat, lässt er sich schon jetzt nicht mehr anmerken; unsere journalistische Neugierde läuft ins Leere, ihm ist nichts zu entlocken. Die Entscheidung werde uns frühestens kurz vor Weihnachten mitgeteilt. In der Zwischenzeit werden alle 55 gleich an einem Plan B feilen, denn die Bewerbung an der Deutschen Journalistenschule München läuft in der Zwischenzeit an. Wenn die Ergebnisse aus Berlin vorliegen, wird die nächste Bewerbungsreportage längst geschrieben sein. Ein Ranking oder gar eine Evaluation der Ergebnisse dürften wir nicht erwarten, so Volkmar. So wird niemand erfahren, woran er – vielleicht zum wiederholten Male – gescheitert ist, und die Nummer 17 wird nicht ahnen, dass sie vielleicht nur ein schicksalhafter Punkt von der Aufnahme trennten. Ein ‚ja’ von der Prüfungskommission ist mit großer Sicherheit das Sprungbrett in die journalistische Karriere; ein ‚nein’ macht diese zwar noch nicht zunichte, aber vielleicht das Selbstbewusstsein des Bewerbers. Thomas ist erst 21 und denkt bereits jetzt darüber nach, den Journalismustraum hinzuschmeißen, falls es in Berlin nicht klappt. Kurzgeschichten könnte man schreiben. Die Kurve kratzen und an der Uni blieben, meinen andere. Oder doch den elterlichen Hof übernehmen, wägt Kathrin ab, die als Titelgeschichte für die morgige Bild am Sonntag eine Kälbchengeburt vorgeschlagen hatte.
Die nächsten bitte! Die beruhigende Zeitung aus der Hand legen, Kaugummi raus, lächeln. „Viel Glück“ ruft uns die Glückliche des Vorjahres hinterher. Unsere Vorgängerin. Ihren Charme, den der Unbeteiligten und Konkurrenzlosen, haben wir noch nicht. Aber einen schrägen Humor: Niemand tauscht hier Adressen aus, alle geben sich überzeugt, sich bald wiederzutreffen: „Wir sehen uns dann im April.“ Grenzenloser Optimismus, Galgenhumor und Provokation liegen an diesem Tag nah beieinander.

Comments

  • Das hoert sich stark nach strapazierten Nerven und einem flauen Magen an! Ein Zustand, der irgendwie so aufregend wie aetzend ist. Die Spannung vor einem solchen Haertetest ist der Wahnsinn! <BR/>Jetzt bleibt allen Mitfiebernden nur noch beinhartes Dauemendruecken und hoffen, dass es ein wahrlich wunderschoenes Weihnachtsgeschenk gibt! So darfst du mal wieder die Vorfreude und Spannung erfahren,

    ZUschauer von fern, 07.08.0710. Mai 2008
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