„Vater unser, der du bist in Mekka…“ – ein zweiter Frühling zwischen Dortmund und Damaskus

entstanden als Bewerbungsreportage für die Berliner Journalistenschule zum Thema “Glaubenskrieg beim Abendbrot? – Innenansichten einer interkonfessionellen Partnerschaft”

In der kühl-modernen Einbauküche in Unna-Massen wirkt Edith L. wie eine Gestalt aus Tausendundeiner Nacht: Wache hellblaue Augen blicken mal schelmisch, mal verschwörerisch über den Brillenrand hinweg, als wollten sie das Leben in jeder Sekunde herausfordern. Ein mädchenhafter, blonder Zopf reicht ihr bis auf den Rücken, nur der Haaransatz lässt ihr wahres Alter weiß durchschimmern. Statt eines Eherings trägt sie zehn Ringe mit türkisfarbenen Steinen, die jetzt über die Seiten ihres Reisepasses streichen. Er ist randvoll mit Ein- und Ausreisestempeln; arabische Schriftzeichen wechseln sich mit dem Bundesadler ab, Eintragungen aus Damaskus, Bagdad, Erbil mit Frankfurt und Berlin. ‚Ich gehe mit Dir bis ans Ende der Welt!’ hatte Edith L. gesagt, als sie im Sommer 1995 den Kurden Maoloud D. kennen und lieben lernte. Sie lächelt versonnen: „Doch dass es so weit sein würde, wusste ich damals noch nicht.“
65 Jahre lang hatte die Westfälin ihr Inselleben zwischen Kindern, Küche und evangelischer Kirche nur für zwei Inselurlaube in Griechenland verlassen. Heute lebt sie mit ihrem muslimischen Mann im nordirakischen Erbil – und ist glücklich: „Unsere Begegnung war ‚kismet’, einfach Schicksal!“ Als Mitglied der kurdischen Oppositionspartei KDP muss der Gerichtsschreiber Maoloud D. 1985 aus Bagdad fliehen. Zu Fuß gelangt er über den Balkan und kommt über Umwege in ein winziges Asylbewerberheim auf dem Land, wo sich Edith L. für die Integration der Neuankömmlinge engagiert. Noch in der Erinnerung kichert die alte Dame wie ein Teenager: „Der Slogan unseres Vereins war: ‚Wir bieten Ihnen mehr als nur ein Dach und ein Bett.’ Aber dass ich mich in einen von ihnen verlieben und einmal Dach und Bett mit ihm teilen würde, wäre mir nicht eingefallen.“
In Deutschland ist Edith L. nur noch zu Besuch. „Viele Bekannte sind plötzlich auf Distanz gegangen. Da schied sich die Spreu vom Weizen.“ Selbst einigen ehemaligen Mitstreitern aus dem „ökumenischen Gesprächskreis“ und dem „Verein gegen Ausländerfeindlichkeit“ ging ihre gelebte Ökumene zu weit, zumal Maoloud polygam lebt. „Als er mir von seiner anderen Frau im Irak erzählte, war das schon ein ziemlicher Schock.“ Mittlerweile hat sich Edith mit der ersten Frau im Haus nicht nur abgefunden, sondern auch innig befreundet: „Miski ist für mich wie eine Schwester!“ Ein Foto zeigt die beiden Frauen nebeneinander auf dem Gebetsteppich knien und gemeinsam für die Genesung von Maolouds Mutter beten – Miski verschleiert und im traditionellen ‚Dishdasha’-Gewand, Edith blond bezopft und in einer bunten Bluse: „Allah und Gott ist für uns ein und derselbe.“
Völlig unverhofft ist die 75jährige so zur Grenzgängerin zwischen zwei Kulturen geworden; vor ihren Kindern verteidigt sie die islamische ‚sharia’ und in Erbil ihre Freiheiten als Frau und Christin. Während deutsche Politiker noch über interkonfessionelles Parkett schliddern und bei einem Ramadan-Brunch mit zehnjähriger Verspätung den ‚Euro-Islam’ ausrufen, haben viele christlich-muslimische Paare den Dialog im Alltag längst gefunden. Überkonfessionelle Ehen sind nach Meinung des französischen Soziologen Emanuel Todd der Indikator schlechthin für eine gelungene Integration. Dass das Gelingen solcher Beziehungen jedoch längst nicht selbstverständlich ist, weiß Sonar T. aus Göttingen zu berichten. Der ethnopsychologische Sachverständige hat an Familiengerichten viele gescheiterte überkonfessionelle Beziehungen erlebt – und gibt für die meisten eine einfache Erklärung: „In Krisensituationen fallen Menschen in die Sicherheit altbewährter Kulturmuster und stereotyper Wahrnehmung zurück. Dann wird aus dem geliebten Partner wieder die Reinkarnation der fremden Kultur. Wenn man in einer Beziehung einmal anfängt, nach vermeintlichen kulturellen oder religiösen Differenzen zu suchen, verhärten sich ganz schnell die Fronten.“ T. rät gemischtkonfessionellen Paaren, nach den konkreten Problemen in der Beziehung zu suchen und Welt, ‚Community’ und Schreckensnachrichten auszusperren. Denn: „Aischa und Christian werden früher auf einen gemeinsamen Nenner kommen als Islam und Christentum.“
Mit der großen Partnerschaft zwischen Orient und Okzident haben selbst Diplomaten und Theologen noch ihre Schwierigkeiten: Der Jesuitenpater Heribert G. vom „Runden Tisch der Religionen Abrahams“ muss zugeben, dass die christlich-jüdisch-islamische Gelehrtenrunde auf der Ebene des „Klönschnack“ noch am besten harmonisiert: „Sobald wir inhaltlich über den Glauben debattieren, kommt es unweigerlich zu Reibereien, etwa wegen der Papstrede.“ Er selbst habe auch noch kein christlich-muslimisches Paar getraut und würde von solchen Beziehungen „nur abraten“.
Doch zwischen einem ‚Glaubenskrieg beim Abendbrot’ und der religiösen ‚Neutralität’ der Postmoderne haben Edith und Maoloud einen ‚Dritten Weg’ gefunden, der kulturrelativistische Toleranz und kreative Synkretismen voraussetzt. Als ältere Frau und Christin hat Edith L. in Erbil Sonderrechte, die für eine junge Muslima undenkbar wären: Sie ist überzeugte Vegetarierin geblieben, trägt keinen Schleier und ist an Maolouds Seite häufig in Erbil unterwegs. Dagegen hat sie einige islamische Traditionen sehr zu schätzen gelernt: „Den Ramadan mache ich freiwillig mit, denn diese Zeit ist sehr besinnlich und das lang ersehnte Essen bekommt einen ganz besonderen Geschmack.“ Nur manchmal gerät Edith L. in Rage über ihren Mann: „Wenn ihm vor seinen Kindern die Argumente ausgehen, pflegt er zu sagen: ‚Hör mal zu, ibn (Sohn), wenn ich sage, die Milch ist schwarz, dann ist sie schwarz.’“ Dann sieht sie mit Genugtuung, wie die Kinder gegen die Autorität der Väter rebellieren: „Die holen seit 2003 alles nach, wofür meine Kinder ein ganzes Jahrzehnt gebraucht haben. Das sind die 68er des Iraks! So verschieden sind wir doch gar nicht.“