Schlachtindustrie: Die Philosophie des Tötens

In der Lüneburger Heide entsteht gerade der größte Geflügelschlachtbetrieb Europas. Sieben Hühner pro Sekunde sollen dort getötet werden – gefördert mit Millionen aus Brüssel. Die Reste landen zu Schleuderpreisen in Westafrika und machen die lokalen Märkte kaputt. All das im Namen der Verbraucher, die 3,39 Euro für ein Masthühnchen zahlen. Zeit dieser Agrarpolitik die Grundlage zu entziehen und anders einzukaufen.

veröffentlicht im Nord-Süd-Magazin INKOTA-Brief, 09/2010>>

Niedliche Küken tummeln sich auf der Website der Emsland Frischgeflügel GmbH; in der “Philosophie“ des Unternehmens ist viel von Verantwortung zu lesen: Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, den Konsumenten, der Umwelt. Die Realität beim größten deutschen Geflügelproduzenten hat mit dieser Hochglanz-Visitenkarte wenig zu tun. In nur sieben Jahren hat das Unternehmen das Emsland auf Massentierhaltung umgestellt, erwirtschaftet einen Jahresumsatz von über einer halben Milliarde Euro und beherrscht schon heute ein Viertel des deutschen Geflügelmarkts.

Geschäftsführer Franz-Josef Rothkötter greift nach dem Monopol: Im beschaulichen Wietze in der Lüneburger Heide will er im März 2011 den größten Geflügelschlachtbetrieb Europas in Betrieb nehmen. Im Akkord sollen hier hochgezüchtete Hähnchen getötet werden, sieben pro Sekunde, 135 Millionen im Jahr. Nachschub sollen mindestens 400 neue Mastställe mit je 40.000 Hähnchen liefern. Ein größenwahnsinniges Projekt, das zu einer Branche passt, die Lebewesen im Überschuss „produziert“, quält und tötet, um den Marktpreis zu drücken und kleinere Mitbewerber, die höhere Tierschutzstandards einhalten, zu verdrängen.

Die Deutschen essen zwar enorme Mengen Fleisch (im Schnitt 60 Kilogramm pro Jahr, davon 10 kg Geflügel), doch dieser Bedarf ist längst mehr als gedeckt, und auch die EU kann sich bald komplett selbst versorgen. Dessen ungeachtet werden derzeit bundesweit etwa 900 neue Mastanlagen à 40.000 Hähnchen geplant. Wietze ist überall. Bürgerinitiativen befürchten die Verschandelung des touristischen Aller-Leine-Tals, den Lärm der täglich 100 zusätzlichen LKWs, den Gestank durch Blut und Kot und die Gefahr der Grundwasserverschmutzung – zu Recht. Doch die Folgen unserer agrarischen Aufrüstung reichen weiter, sie zerstören westafrikanische Märkte und den südamerikanischen Regenwald.

Das Problem ist bekannt: Die Mastbetriebe füttern die Schlachthähnchen mit (zudem meist genmanipuliertem) Sojaschrot, das auf riesigen Flächen in Argentinien, Brasilien und Paraguay angebaut wird. Dafür werden Regenwälder abgeholzt und seit Generationen ansässigen Kleinbauern enteignet. Jedes Jahr vergrößert sich die Soja-Anbaufläche um weitere zehn Prozent, und die enteigneten Campesinos ziehen zu Zigtausenden in die Slums der Großstädte. Wer bleibt, den machen die giftigen Düngemittel krank, Allergien und Krebserkrankungen häufen sich. Auf der anderen Seite der Verwertungskette werden die überschüssigen Hähnchenteile als Billigware nach Westafrika exportiert, wo sie die lokalen Märkte und die Gesundheit der Konsumenten gefährden, wenn sie bei der Lagerung in der prallen Sonne auftauen. Der Markt ist globalisiert, doch die behauptete „Verantwortung“ der Mastbarone ist es offenbar nicht.

Für ein Kilo Hühnerfleisch müssen zwei Kilo Pflanzen verfüttert werden, bei Schweinen und Rindern sind es sogar 20 Kilo – Nahrung, auf die Menschen verzichten müssen. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung führt nur der weitgehende Verzicht auf Fleisch an noch größerem Hunger und Armut vorbei. Selbst die Vereinten Nationen appellieren mittlerweile für eine vegetarische oder vegane Lebensweise – noch aus einem anderen Grund: „Um den Klimawandel auf ein „verträgliches“ Maß zu begrenzen, müssen wir unsere Ernährungsgewohnheiten weltweit umstellen, weg von tierischen Produkten“, heißt es in einem im Juni veröffentlichten UNEP-Report.

Dagegen fördert die deutsche und EU-weite Agrarpolitik die industrielle Tierhaltung: 6,5 Millionen Euro erhält Rothkötter für seine Expansion in Wietze von der EU, weitere 1,4 Millionen gibt die öffentliche Hand für die Erschließung dazu. In Niedersachsen hatte der Großmastbetrieb ein besonders leichtes Spiel; Landesagrarministerin Astrid Grotelüschen (CDU) ist mit dem Besitzer einer Mastkükenbrüterei verheiratet und unterstützt den Verdrängungswettbewerb: „Es gibt eine Nachfrage nach diesem Produkt, zu diesem Preis und dieser Qualität.“ Der Verbraucher zahlt 3,29 Euro für ein Rothkötter-Hähnchen im Supermarktregal, den eigentlichen Preis zahlen andere. Denn die “Philosophie“ der Geflügel-Monopolisten tötet nicht nur unnötig viele Hähnchen im globalen Norden, sondern auch Regionen, Identitäten, Biotope im globalen Süden. Im Namen des Marktes und der Agrarpolitik und des verantwortungslosen Konsumenten.

Screenshot: Unternehmens-Website der Emsland Frischgeflügel GmbH