Mit Sicherheit in Lebensgefahr: Kolumbiens Menschenrechtler

Gerade hat die EU ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien abgeschlossen, dabei lässt die Regierung Úribe nach wie vor Kleinbauern vertreiben und Menschenrechtler verfolgen. Auf dem Kirchentag berichten Flor Gallego und Liliana Úribe von ihrem Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit – und der Todesangst, mit der sie leben müssen.

veröffentlicht im Mai 2010 durch den Ökumenischen Kirchentag >>

Das Dorf Vereda la Esperanza schläft tief und fest, als ein weißer Lieferwagen vor Florinda Gallegos Elternhaus parkt. Noch ahnt niemand, dass sich ihr Leben wenige Minuten später für immer ändern wird. Gallegos Stimme zittert, wenn sie davon erzählt: Wie fünf schwer bewaffnete Soldaten in ihr Elternhaus eindrangen und alles verwüsteten. Wie sie ihren Ehemann Hernando und den kleinen Andrés über die Schwelle des gemeinsamen Hauses zerrten. Gallego stand dabei, vier Kleinkinder hinter sich und eines im Bauch, flehend, fluchend – umsonst. Von Hernando Castaño fehlt seither jede Spur.


Flor Gallegos Schicksal ist nichts Besonderes in einem Land, in dem sich Armee, paramilitärische Gruppen und Guerilla seit 50 Jahren einen blutigen Bürgerkrieg liefern. Regierungsnahe Todesschwadronen vertreiben dort täglich 1.000 Bauern von ihrem Land, lassen jährlich tausende Gewerkschafter, Menschenrechtler und Kleinbauern „verschwinden“. FARC-Terroristen seien die Toten gewesen, behauptet die Regierung. „Sie waren im Weg“, sagt Liliana Úribe, die mit dem Präsidenten nur den Nachnamen gemein hat.

Flor Gallego und Liliana Úribe sind beide Mitte vierzig, Frieden haben sie nie kennengelernt. Beide kennen das Risiko ihres Engagements. Über Einbrüche in ihr Büro, überwachte Mails und geklaute Telefonnummern spricht Úribe wie über das Wetter; einmal musste sie für Monate ins Ausland gehen, weil es für sie in Kolumbien zu gefährlich wurde. Angst? Hat sie keine. Und man glaubt ihr: So wie sie spricht – atemlos, mit flatternden Händen – hatte sie noch gar keine Zeit dafür.

Als Ende der achtziger Jahre zwei ihrer Professoren erschossen wurden, gab es für sie kein Zurück mehr: Sie gründete das unabhängige Anwaltkollektiv „Corporación Jurídica Libertad“, für das sie gerade mit der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe ausgezeichnet worden ist.


Liliana Úribes Arbeit ist mühsam. Die Anklagen gegen Militärs und Paramilitärs werden in Kolumbien ausgerechnet vor einem militärischen Strafgericht verhandelt. Kein Wunder, dass die Schuldigen nicht gefunden werden. Immer wieder werden Zeugen erschossen, Richter ausgewechselt, Prozesse „aus Mangel an Beweisen“ eingestellt. Flor Gallegos Fall bildet die Ausnahme: Úribes Engagement hat den Verantwortliche für die Verschleppungen mittlerweile hinter Gitter gebracht. Und dem zersprengten Dorf Vereda la Esperenza die Hoffnung zurück gegeben, die es im Namen trägt.


Doch Flor Gallego wohnt schon lange nicht mehr dort; seit sie in der „Bewegung der Opfer staatlicher Verbrechen“ (MOVICE) für Freiheit und Gerechtigkeit kämpft, muss sie immer wieder umziehen. Und in Hauseingänge schlüpfen, wenn ein weißer Lieferwagen sie verfolgt. Neun Familienmitglieder hat sie verloren, anzusehen ist es ihr nicht. Meistens nicht. Nur wenn sie von ihrem verschwundenen Ehemann spricht, den ihre Kinder nie richtig kennengelernt haben, füllen sich ihre Augen mit Tränen. „Die letzten 14 Jahre haben mich alt werden lassen“, sagt sie. So lange hat sie ihre Familienangehörigen gesucht, nur den kleinen Andrés hat sie lebendig wiedergesehen: In der Zeitung, bei den Militärs. Er spielte mit Waffen.

Fotos:
Jochen Schüller: Portrait Flor Gallego, Friedhof der Verschwundenen, Polizisten während einer Demonstration in Bogotá;
C.F.: Portrait Liliana Úribe

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