­Das erste Weihnachtsfest – Iranische Christen in Diestedde

Farkhondeh*, Kurosh und ihre beiden Töchter wurden verraten. Während ihres Urlaubs drangen die Iranischen Revolutionswächter in ihr Haus in Teheran ein und fanden Engelfiguren und Kreuze, Beweismaterial. Als Christen wären sie bei der Einreise sofort verhaftet worden. Ein Schleuser-LKW war ihre Rettung – und wäre doch beinahe ihr Ende geworden.

Teil der Fotoausstellung “…und plötzlich diese Stille”, ab 20. April 2016 im Rathaus Wadersloh >>

Ein winziger Tannenbaum steht auf Farzanehs* Fensterbank in Diestedde. Der ers­te Tannenbaum ihres Lebens. Zusammen mit ihrer kleinen Schwester Farnush* hat die Elfjährige ihn mit goldenen Kugeln geschmückt. Vor einem halben Jahr sind sie mit ihren Eltern aus Teheran nach Deutschland gekommen – über Dortmund, Neuss, Liesborn-Göttingen nach Diestedde. Sie sind Christen, doch in der Islamischen Republik Iran haben sie das sorgsam verschwiegen.

„Wir haben uns an geheimen Orten zum Gottesdienst versammelt“, erzählt ihre Mutter Farkhondeh*, 35. „In Wohnhäu­sern zu Beispiel.“ Die Fenster hielten sie immer geschlossen, gesungen wurde auch zu Weihnachten nicht. Ständig hat­ten sie Angst, in eine Razzia der Revo­lutionären Garde zu geraten oder auf der Straße aufzufallen. „Wir hörten von Gerichtsverhandlungen und nächtlichen Morden“, sagt Farkhondeh. „Wir mussten über jeden unserer Schritte nachdenken.“ Noch heute ertappt sie sich dabei, wie sie sich nervös an den Kopf fasst, ehe sie aus dem Haus tritt: Hat sie auch an das Kopftuch gedacht? Dabei trägt sie es schon längst nicht mehr.

250 bis 500 Tausend Christen leben Schätzungen zufolge im Iran, der so viele Einwohner hat wie Deutschland: 80 Millionen. Die meisten sind ethnische Armenier oder Assyrer, die ihren orthodoxen Glauben leben dürfen. Doch Christen aller anderen Konfessionen – vor allem die Konvertiten vom Islam – werden verfolgt, eingesperrt oder ermordet.

„Im Iran zu leben war –“ Farkhondeh sucht nach dem passenden Wort. „– Stress?“ Die Worte für die Dauerangst, die sie empfunden hat, sind ihr in Deutschland noch nicht begegnet.
Farkhondehs Stimme ist melodisch, sie lauscht jedem der gerade erst gelernten Wörter nach. Nur manchmal blickt sie hilfesuchend auf ihre Älteste, die noch mehr Deutsch aufgeschnappt hat als sie. Immer wieder lacht sie laut heraus. Nein, das Leben im Untergrund war nichts für sie und ihren Mann N., 45. Sie waren wohlhabend, mit eigener Firma und großem Haus. Wenn sie ihre elfjährige Tochter zum Einkaufen ohne Kopftuch mitnahmen, mussten sie Kontrollen der Sittenwächter-Polizei und bösen Blicken ausweichen. Sie taten es trotzdem.

IMG_6536___kl_

Während eines Türkei-Urlaubs im April 2015 bekamen Farkhondeh und Kurosh einen Anruf von einem Freund*. Die Polizei hatte ihr Haus aufgebrochen und durchsucht, berichtete er aufgeregt. Sie hätten Engelfiguren und Kreuze gefunden – Beweismaterial. Bekannte hatten sie verraten.
Die Familie konnte unmöglich zurückgehen; bei Einreise wären sie sofort verhaftet worden. „Ich war glücklich, als ich hörte, dass wir nach Europa ziehen“, sagt Farzaneh. „So froh“, sagt auch die kleine Farnush und schlenkert mit den Beinen. Über das, was dann geschah, möchten die beiden nicht reden. Und es auch nicht hören. Sie verlassen eilig den Raum, als das Wort „LKW“ fällt.

Vier Tage. So lange waren Farkhondeh und Kurosh mit ihren kleinen Töchtern in einem fahrenden LKW eingesperrt. Ohne Essen und Trinken. Ohne Licht. Ohne Toilette. Ohne Orientierung oder Zeitgefühl. Fliegen konnten sie nicht, weil sie kein Visum bekommen hätten. Im August 2015 sind 71 Flüchtlinge auf einer solchen Fahrt erstickt. Die Familie aus Teheran hat überlebt.

Mit den Großeltern, die im Iran geblieben sind, haben sie seither nicht richtig gesprochen. „Die Gespräche sind immer gleich“, sagt Farkhondeh. „’Wie geht’s? Was macht das Wetter…?’“. Was sie wirklich wissen will – Wie geht es Euch ohne uns? Schöpft jemand Verdacht? – und was sie über ihr neues Leben in Diestedde zu erzählen hat, bleibt ungesagt. Denn, darin sind sich die Exil-Iraner einig, die Telefonverbindungen werden überwacht. Nur Internet-Telefonate gelten als sicher, doch so lange die Familie keinen Asylbescheid hat, darf sie keinen Internet-Anschluss beantragen.

Als das LKW-Kapitel vorbei ist, stehen Farzaneh und Farnush wieder im Zimmer, unbeschwert als hätte es für sie nie ein anderes Leben gegeben. Die Kleine trägt Ballett-Schläppchen, die Große einen Volleyball und ein Trikot ihres Diestedder Sportvereins. „Papa, spielen wir eine Runde?“

IMG_6610_kl_

* Die Vornamen wurden zum Schutz der Familie geändert. Aus dem gleichen Grund werden der Nachname, bestimmte Details sowie erkennbare Fotos nicht veröffentlicht.

 

Fragen oder Kommentare? Hier bei Twitter: @chessocampo