In 30 Gängen um die Welt

Jeder sechste Mensch weltweit hungert – eine stille und weithin unsichtbare Katastrophe. Einem kalifornischen Reporterpaar ist es gelungen Mangel und Überfluss sichtbar zu machen. Menzel und D’Alusio haben weltweit Esskulturen dokumentiert, in einem sudanesischen Flüchtlingslager genauso wie in einer britischen Reihenhaussiedlung. Das Ergebnis ist erschreckend.

veröffentlicht in der Welternährung 3/2013, der Zeitung der Welthungerhilfe >>

Die Sonne scheint warm vom Himmel auf eine Familie, die vor ihrem Zelt zu Abend isst – so wirkt es auf den ersten Blick. Doch die Stoffbeutel, die Familie Aboukabar vor sich drapiert hat, enthalten nicht eine Mahlzeit, sondern sieben – für sechs Menschen. Einige Bilder weiter begegnen wir Schokoriegeln, Fertigpizza, importierten Früchten ernähren und Hunde-Nassfuttere – und mitten in diesem Essensberg den Baintons aus Großbritannien. Der Unterschied ist erschreckend. Wie können die sieben Flüchtlinge aus dem Sudan von dem bisschen satt werden, wenn eine durchschnittliche britische Familie ein Vielfaches verbraucht? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Aboukabars werden nicht satt. >
Wie können Fotografen den Hunger sichtbar machen, der den Alltag von jedem sechsten Menschen weltweit dominiert? Die allgegenwärtigen Fotos von Menschen mit ausgemergelten Körper und Hungerbäuchen lassen die Betrachter zu Voyeuren werden und mit der Weile abstumpfen. Peter Menzel hat einen anderen Weg gefunden. Zusammen mit der Journalistin Faith D’Alusio hat er 30 Familien in 24 Ländern besucht und sie beim Einkaufen, Kochen und Essen portraitiert.
Der Höhepunkt der „Hungry World“-Arbeit sind diese Gruppenfotos im Stil ethnologischer Portraits, auf denen Familien ihre Nahrung für eine Woche präsentieren. In ihnen zeigt sich die große Ironie moderner Ernährung: Während Hunderttausende hungern, sind ebenfalls Hunderttausende übergewichtig.
Im Zeitalter der Globalisierung hört die Ernährung auf, privat und kulturspezifisch zu sein. Stattdessen wird sie von unkontrollierbaren Faktoren bestimmt – von Konflikten, Migration, Armut, Spekulationen, den Verkaufsstrategien der globalen Lebensmittelindustrie und vielem mehr. Faktoren, die innerhalb kürzester Zeit Veränderungen bringen können. Während Familie Ayme in ihrem ecuadorianischen Andendorf regionale Produkten auf offenem Holzfeuer zubereitet, ist Familie Casales aus Mexiko zwischen Bergen aus Fleisch, Süßem und verarbeitetem Essen kaum zu erkennen. Und selbst im gesundheitsbewussten Japan gibt es einen Generationenwandel, der sich im Familienportrait andeutet: Die Lieblingsgerichte der beiden Erwachsenen sind Sashimi (Fischfilet) und Obst, die jugendlichen Töchter mögen Kuchen und Kartoffelchips.
Das Reporterpaar reichert die Fotos mit dokumentarischen Details an: den Kosten des Essens, Einkaufslisten, typische Familienrezepte und Lieblingsessen. So erfahren wir, dass die Aboukabars aus dem Sudan umgerechnet 1,23 US-Dollar für ihr wöchentliches Essen aufwenden müssen, die Baintons hingegen 253,15 US-Dollar – wobei diese Summen durch die unterschiedlichen Einkünfte in den Ländern wenig aussagekräftig sind. Bei allen Unterschieden in der Menge und Vielfalt der Nahrungsmittel zeigen die Bilder doch eine Gemeinsamkeit: die Freude am Essen und Trinken und den Stolz der Familien auf ihren kleinen Schatz.
Die Fotoausstellung “Was is(s)t die Welt” ist noch bis zum 27. Oktober täglich (außer montags) zwischen 10 und 18 Uhr (mittwochs bis 21 Uhr) im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig, Adenauerallee 160, Museumsmeile Bonn zu sehen.
Außerdem ist die Serie als Buch erschienen: Menzel/ D’Alusio: „Hungry Planet.What the world eats.“ Material World  Verlag, 2007. 288 Seiten.