Lebensretter polizeilich gesucht

Als Flüchtling nach Europa zu kommen, ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Aber ein Lottogewinn ist es nicht. Viele, die Krieg und Verfolgung entfliehen konnten, werden von Südeuropa nach Deutschland geschickt und dort zu Illegalen erklärt. Wer diesen Betrogenen aus eigener Kraft hilft, muss selbst mit Strafverfolgung rechnen – ein doppelter Verstoß gegen das Völkerrecht.

Kommentar veröffentlicht im Südlink 2/2015 >>

Südlink 2.15Dass die EU es nicht für nötig hält, Flüchtlingen einen legalen Weg nach Europa zu ermöglichen und sie willkommen zu heißen, ist das Eine. Dass Deutschland aber Menschen kriminalisiert, die diese Aufgaben aus eigener Kraft übernehmen, ist der moralische Tiefpunkt einer Flüchtlingspolitik, die jede Verantwortung an Nachbarländer abschiebt und die Ursachen für Migration ignoriert.

Amelie Deuflhard, die Intendantin des Hamburger Theaters Kampnagel, erfährt gerade, was es heißt, wenn geltendes Recht nicht gerecht ist. Im Rahmen eines Theaterprojekts brachte sie fünf obdachlose Flüchtlinge während des Winters im Theater unter. Nach Anzeige eines AfD-Politikers ermittelt nun die Hamburger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts zur „Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht für Ausländer“.

Die fünf Projektteilnehmer gehören zur sogenannten Lampedusa-Gruppe: 300 Frauen und Männer, die nach der Flucht aus ihrer Heimat in einem Behördenkrieg zwischen Italien und Deutschland gefangen sind. Weil sie die EU in Italien betraten, mussten sie gemäß der DublinIII-Regel dort Asyl beantragen. Italien erkannte sie zwar als Flüchtlinge an, schob sie aber nach Deutschland ab, weil es als Mittelanrainer mit der Verantwortung überfordert ist. Die Bundesregierung schaltet auf stur und verweist auf DublinIII. Sie stellt diese uneuropäische und unsolidarische Regelung noch über das allgemeine Völkerrecht und erklärt die 300 Lampedusa-Flüchtlinge zu Illegalen – und ihre UnterstützerInnen zu Kriminellen.

Egal wie die Ermittlung gegen Deuflhard ausgeht: Eine abschreckende Wirkung für ehrenamtliche Helfer bleibt. Wie bei den drei Seefahrern der „Cap Anamur“, die 2004 in Italien verhaftet und vor Gericht gestellt wurden, weil sie havarierten Flüchtlingen das Leben gerettet hatten. Seither berichten überlebende Flüchtlinge immer wieder, dass Schiffe einen Bogen um ihre in Seenot geratenen Boote machen – wohl aus Angst vor Scherereien.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der jeden Monat Hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, geht die Politik gegen Privatinitiativen vor, die die verheerenden Auswirkungen der EU-Flüchtlingspolitik ein wenig abmildern. Innenminister Thomas de Maizière warf den PastorInnen von 200 Kirchengemeinden im Februar vor, sich über geltendes Recht zu stellen und die DublinIII-Regel auszuhebeln, weil sie Flüchtlingen wie denen der Lampedusa-Gruppe Kirchenasyl gewähren.

Die Regel aushebeln? Schön wär’s. DublinIII ist ein mächtiges Verdrängungsinstrument, das sehr effektiv darin ist, entwurzelte und traumatisierte Menschen um ihre Rechte zu bringen. Daran können Kirchen- und Kunstasyl leider nur wenig ändern. Deuflhard, die 200 PastorInnenen und die Seeleute der Cap Anamur sind keine Verbrecher, sondern Vordenker für ein gerechteres System. Als solche verdienen sie und alle anderen FlüchtlingshelferInnen kein Strafverfahren, sondern den Friedensnobelpreis, den irrtümlicherweise die EU erhalten hat.