Der Entwicklungs-TÜV

Was macht ein Flipchart auf einem Feld in Ruanda? Gutachter Kai-Uwe Seebörger ist gekommen, um ein Projekt der Welthungerhilfe auf Herz und Nieren zu prüfen. Doch zunächst drehen Bauern und Projektleiter den Spieß um: sie begutachten den Gutachter.

veröffentlicht in der “Welternährung” 1/2015 >>

Der Besuch des Muzungus hat sich schnell herumgesprochen: Schulkinder, Marktfrauen und Bauern laufen aus allen Richtungen auf der einsamen Landstraße im Süden Ruandas zusammen, um zuzuschauen: Wie er ein Flipchart aus dem Jeep lädt, wie er mit den Geranienbauern spricht und jedes ihrer Worte in ein Raster schreiben lässt. Gleichzeitig sieht Christoph Meier vom Landesbüro der Welthungerhilfe in Ruanda diese Bilder auf seinem Handy in der Hauptstadt Kigali. Seine Mitarbeiter schicken ihm Fotos über ein Chatprogramm – dafür ist ihnen keine Landstraße zu abgelegen.

(Eine andere Reportage zum gleichen Thema erscheint demnächst als Titelgeschichte im Magazin der Welthungerhilfe >>)

WE_15 - Ausgabe 1_2015_Seite_11_Reportage

Der Gutachter wird begutachtet. Doch Kai-Uwe Seebörger, der in den kommenden Wochen kreuz und quer durch die Provinz fahren und mit Hunderten Projektteilnehmern sprechen wird, lässt sich davon nicht irritieren. Schließlich wird es gerade zum ersten Mal spannend; offenbar weigert sich die Kooperative alle geernteten Blätter an ihren Vertragspartner im Dorf nebenan zu liefern und verkauft einen Teil der Ernte unter der Hand an andere Kunden. „Warum sollen wir unseren Teil des Vertrags erfüllen, wenn die Fabrik schlecht bezahlt und uns sogar noch Geld schuldet?“ Die Chefin der Geranium-Kooperative – im Karohemd, ein Blumenbüschel noch in der Hand – baut sich resolut vor Seebörger auf. „Wissen Sie, was man an der Pariser Kosmetiköl-Börse gerade für einen Liter Geraniumöl zahlt? 200 Euro!“ Der Evaluator kann nicht anders, er bricht in Lachen aus, die Bäuerin und der Übersetzer fallen mit ein. Seebörger reicht ihr die Hand: 01„Glückwunsch – Sie wissen, was Sie wollen! Was Sie machen ist zwar nicht korrekt, aber ich verstehe Ihre Situation.“

Kai-Uwe Seebörger ist Agrarexperte, doch wenn er als externer Berater Entwicklungsprojekte evaluiert, wird er unversehens zum Detektiv oder zum Diplomaten, zum Lehrer oder zum Schüler. Die Evaluationen der Welthungerhilfe können noch so minutiös geplant sein; wenn sich Theorie und Praxis, Nord und Süd zu einem solchen Road- und Recherchetrip auf Buckelpisten treffen, sind Überraschungen programmiert: Probleme, die im Projektalltag übersehen wurden und Erfolge, die es zu dokumentieren und in andere Projekten zu übertragen gilt.

Über dem Mwogo-Tal geht die Sonne auf und die schemenhafte Landschaft füllt sich mit Farben: Die Straße zeigt ihr Lehmrot, die Büsche werden dunkelgrün und am Horizont zeichnen sich dunstblaue Hügel ab. Die „Milk Bar Holy“ und die „Light Peace Bar“ sind jetzt um 20 nach 6 noch geschlossen, doch die Straße füllt sich allmählich mit Menschen: Kinder laufen zur Schule, Bauern balancieren Bananenstauden zum Markt und wagemutige Radfahrer transportieren halbe Hausstände auf ihren Gepäckträgern: Ziegelsteine, Strohballen oder Hühner, alles gut verschnürt.

Noch vor zehn, fünfzehn Jahren gab es hier schlimme Hungersnöte“, erinnert sich Jean-Pierre Kayiranga, der im Mwogo-Tal aufgewachsen ist. Er deutet das kilometerlange Tal hinunter: „Hier war alles voller Sümpfe, in denen Malariamücken lauerten. Nur kleine Flächen waren überhaupt für den Anbau zu gebrauchen, die Methoden ineffektiv; geerntet wurde nur einmal jährlich.“

Das Projekt der Welthungerhilfe hat ab 2007 die Mammutaufgabe unternommen, das Tal für den landwirtschaftlichen Anbau umzugestalten. Fünf Jahre lang haben bis zu 8.000 Menschen aus der Region kilometerweise Berghänge terrassiert, den Fluss begradigt, Reisfelder angelegt und Straßen gebaut. Dafür wurden sie von der Welthungerhilfe bezahlt. Die Anstrengung hat sich gelohnt: Heute bewirtschaften alleine im Mwogo-Tal 3.000 Familien jeweils ein zehn mal zehn Meter großes Reisfeld sowie einige schmale Felder auf den Bergterrassen – genug, um sich abwechslungsreich zu ernähren und mit dem Geld, das der Reis einbringt, Schulgebühren, Tiere, Obstbäume, Krankenversicherung und stabilere Häuser zu bezahlen.

Doch der Anfang war problematisch. Von der ersten Projektevaluation 2010 ging ein Alarmsignal aus. Der damalige Gutachter kritisierte, dass das Projekt so sehr mit den Baumaßnahmen beschäftigt war, dass es die Bevölkerung nicht genügend eingebunden und keine Kooperativen aufgebaut hatte. „Wir haben die Kritik sehr ernst genommen und konnten das Versäumte aufholen“, erinnert sich Audace Kubwimana, stellvertretender Landesdirektor der Welthungerhilfe in Ruanda. „Als wir anfingen, die Bauern und Wassernutzer in Gruppen zu organisieren und die lokalen Behörden einzubinden, haben sie sich schnell mit dem Projekt identifizieren können.“

Diesen Eindruck gewinnt Kai-Uwe Seebörger auch in seinen Gesprächen mit den Kooperativen. Niemand verzieht auch nur eine Miene, wenn vom Ende des Projekts die Rede ist; sie wussten schon seit Jahren davon und fühlen sich gewappnet. Für Seebörger nicht selbstverständlich. „Ich bin beeindruckt – nicht nur davon, was Ihr erreicht habt, sondern auch von Eurem Engagement“, sagt er zu den Mitgliedern einer Wassernutzerorganisation nach der gemeinsamen Analyse. „Ich sehe Stolz in Euren Augen.“

Bevor Seebörger sein 60-seitiges Gutachten der Welthungerhilfe in Bonn vorlegt, stellt er es allen Beteiligten in der Provinzhauptstadt vor; seine Worte werden in die Landessprache Kinyarwanda übersetzt. Obwohl die Regenzeit gerade beginnt und auf den Feldern viel zu tun ist, kommen über 50 Menschen, die für die Zukunft des Projekts entscheidend sind – selbst die Bauernvertreter, die zwischen all den Ministern und Botschaftsvertretern zum ersten Mal auffallend schüchtern und hager wirken. „Jetzt sind wir am Ball, die Arbeit fortzusetzen“, sagt François Uhagaze, der stellvertretende Bürgermeister von Nyanza. „Dass Ihr uns Vorschläge für die weitere Arbeit macht, rechnen wir Euch hoch an. Viele Nichtregierungsorganisationen verschwinden nach drei Jahren einfach wieder.“

Abgesehen von der Geraniumkrise schneidet das Projekt sehr gut ab. Um den Streit zu beheben, empfiehlt Seebörger einen Runden Tisch, an dem Geranienzüchter und Fabrik mithilfe eines Mediators wieder zusammenfinden. Ob daraus etwas wird, liegt jetzt in der Hand der lokalen Behörden.

Nach der Präsentation kommen sie ein letztes Mal zum Mittagessen auf dem Balkon des Tagungshotels zusammen: Bürgermeister, Minister, Fabrikbesitzer. Kai-Uwe Seebörger schüttelt Hände, tauscht Visitenkarten und gute Wünsche – und stutzt. “Wo sind eigentlich die Bauern?” Jemand deutet ins Erdgeschoss: “Der Platz reichte nicht für alle.” Seebörger dreht sich um und geht. Nach unten.