Ein Parfüm lässt sich nicht aufhalten, er erfasst seine ganze Umgebung, dringt über Tausende Nasen ins Unbewusste von Armen und Reichen, Alten und Jungen, Männern und Frauen, Profis und Laien und entfaltet dort seine Wirkung. Ähnlich der gleichnamige Film von Tom Tykwer und Bernd Eichinger, der schon am ersten Wochenende über eine Millionen Besucher in Deutschland erreicht hat. Als Duft hätte diese Monumentalverfilmung des Süskind-Stoffs die Qualitäten des Populärparfüms „Amor et Psyche“: In der Kopfnote berauschend, doch bereits in der Herznote zu zahm, synthetisch, seicht und ohne Überraschungen…
Die hohen Produktionskosten sind dem 50-Millionen-Dollar-Parfüm „Tykwer et Eichinger“ gleich anzusehen: Die ersten Minuten scheinen den Auftakt zu geben zu einem berauschenden Sinnesfest, einer synästhetischen Oper: Die Berliner Philarmoniker bemühen sich redlich, die fehlenden Geruchsnoten per musikalischen Akkorden zu umschreiben, das Szenenbild kommt als Augenschmaus hinzu. Mal pflügt sich die Wackelkamera durch vor Schmutz starrende Pariser Straßen, mal lässt sie die Bilderwelten barocker Gemälde entstehen: Duftlaboratorien im Kerzenstein, die Festgesellschaften des südfranzösischen Geschäftsadels und Grenouilles Nase auf der nackten Haut sommersprossiger Schönheiten. Ein dramatischer Lichteinfall hebt diese Nase häufig hervor und belässt die restlichen Gesichtszüge im Dunkeln.
Ben Wishaw als Grenouille ist einer der Lichtblicke dieser Produktion. Der Jungschauspieler vom London Theatre wirkt wunderbar weltentrückt und verkörpert den Einfaltspinsel zwischen Genialität und Wahnsinn mit seiner herausragenden Körpersprache. Er verkörpert alle Facetten, die diese Figur so unberechenbar machen: Die duckmäuschenhafte, dümmliche Mimik, den unbeholfenen humpelnden Gang und die instinktgeleiteten, ruckartigen Bewegungen eines Insekts, mit dessen Reaktionszeiten unsere Augen kaum mithalten. All das ist seiner genialen Geruchswahrnehmung geschuldet, die die Kamera in schwindelerregenden Kamerafahrten und plötzlichen Naheinstellungen wiedergibt. Doch an dieser Dynamik stört vor allem eines: Sie müsste entgegengesetzt ablaufen, so dass die Geruchsbilder dem Zuschauer entgegenströmen…
Bis in die Nebenrollen hinein entdeckt der Cineast alte Bekannte: Da ist Dustin Hoffman als clownesker Parfumeur Baldini, der seinen Berufsstand zu inszenieren weiß ohne sein Handwerk auszuführen oder Alan Rickman als aufgeklärter Landadliger, dessen Rationalität und Widerstand am Ende durch die Wirkung des Parfüms aus dem Duft seiner eigenen Tochter gebrochen wird.
All das wirkt jedoch überladen – als wolle der Film seine Unfähigkeit, Gerüche direkt zu übermitteln, durch ein Zuviel an optischen und akustischen Eindrücken kompensieren. Dabei ist dieser Versuch so aussichtslos wie unnötig. Ist ein Chaplin-Stummfilm nicht ebenso beredt und vielsagend wie die frühen Tonfilme – auch wenn der Tramp darin nicht spricht?
So wenig sich Geruch und Geschmack als unsere ältesten Sinne gezielt aus dem Unterbewussten lösen lassen (wie wir spätestens seit Balzacs ‚Madeleine’ wissen), sind sie auf der Leinwand darstellbar. Eine ganze Reihe von Filmen der letzten Jahre – etwa Babettes Fest (Gabriel Axel, 1987), Chocolat (Hallström/ Brown, 2000) und Bella Martha (Sandra Nettelbeck, 2001) – feiern die Befreiung dieser gefangenen Sinne, beschwört ihre aphrodisierende Wirkung und die magische Rolle des Kochs. Der „Ur-Grenouille“ dagegen ist kein Befreier – eher ein Marionettenspieler in seinem olfaktorischen Welttheater. Süskinds Parfüm weist über sich selbst hinaus, es ist ein Symbol für das manipulative Spiel mit dem Unterbewussten, für Maskerade und Machtmissbrauch. Als radikaler „Geruchsarchivar“ verkörpert Grenouille, der aus dem Lebendigen eine tote „Sammlung“ destilliert, die Perversionen des Kolonialismus wie des Nationalsozialismus. Dieses sehr zeitgenössische Thema ist die wirkliche „Herznote“ des Romans. Leider verstricken sich Tykwer und Eichinger in technizistische Visualisierungsversuche anstatt eine freie Übersetzung in die Filmsprache zu suchen. Im einzigen Teil, der sich von der literarischen Vorlage ‚emanzipiert’, üben sie Verrat an derselben: Beim finalen Bacchanal lassen sie ihrem Grenouille nicht Abscheu und Menschenhass, sondern Einsamkeit empfinden und lenken seine fehlgeleitete Seele in die Arme des (hier nur aus Versehen getöteten) Mirabellenmädchens. Hier wird aus dem mörderischen Megalomanen von der Seine ein tragisch Liebender, ein fast an Leroux’ „Phantom“ erinnerndes, (durch Geruchslosigkeit) entstelltes Geschöpf, das seinen Musen nur auf unorthodoxe Weise nahe sein kann. Dass Bernd Eichinger das Grauen lieber psychologisiert als universalisiert, hat ja bereits sein Hitler-Portrait im „Untergang“ gezeigt. Seinen Selbstmord zeigt der Film als entrücktes Ritual, als finde hier der vegetative Zyklus sein Ende: Der Schrecken ist getilgt, die Strafe reumütig bezahlt und die Sache vergessen. Das Buch dagegen stürzt sich in den Ekel, zwischen die Haut des Mörders und die Zähne der neuen Kanibalen, die durch dieses satanische Abendmahl Grenouilles amoralisches Erbe bewahren. Hier verduftet das cineastische Parfüm entgültig: Der rauchig-bittere Thanatos wird an einen versöhnlich-blumigen Eros (oder „Amor“) verraten. Angesichts solcher Verkaufsstrategien könnte man meinen, Tykwer und Eichinger seien bei Baldini in die Lehre gegangen. Stanley Kubrick, der sich zu Lebzeiten für die Verfilmung interessiert hat, wäre sicherlich ein „Parfüm“ gelungen, das auch in der Basisnote noch weiterwirkt und das „gewisse Etwas“ einer 13. Essenz besitzt. Die fatale Fortschrittgläubigkeit („Odyssee im Weltraum“), Gewalt und Moralverlust („Clockwork Orange“), den Kampf um Aufstieg und Anerkennung („Barry Lyndon“), der schmale Grat zwischen Künstlergenie und Wahnsinn („Shining“), und das Hervorbrechen verdrängter Triebe und Obsessionen („Lolita“ und „Eyes Wide Shut“) – Süskinds „Parfüm“ hätte seine zentralen Themen zusammenfügt.
Als Basisnote von „Tykwer et Eichinger“ bleibt dagegen nach Ende des Films nur der Geruch von Cola, Popcorn und billigem Teenagerparfüm im Saal zurück.