Selbstironie als Ritual – Berichtigungen in der taz

Kleinvieh macht auch Mist, aber doch nicht täglich! Wie ich mir schöne Fehler für den Berichtigungs-Kasten der taz ausdenke und wie anstrengend Selbstironie sein kann, wo sie ritualisiert ist

Blogeintrag über Mini-Glossen in der taz, 2009

Der kleine Kasten “Berichtigung”, meist dezent am unteren Rand platziert, verbindet das peinliche Eingeständnis mit der ostentativen Geste des guten Journalismus: Sehr her, wie transparent wir sind und wie heldenhaft wir zu unseren Fehlern stehen! Errare humanum est – et pium. Je kleinlicher die Berichtigspraxis, desto größer und weniger erratisch die Zeitung: “Wir sind einer falschen Bildinformation erlegen,” schreibt die ZEIT etwa im Ferienmonat August 09. “Die Bildunterschrift zeigte weder verheiratete noch heiratswillige junge Männer und Frauen.” Hach, wenn’s mehr nicht ist. Welcher Leser würde sich bei solchen Zeilen nicht in absoluter Geborgenheit wiegen unter dem großen Dach seiner aufgeschlagenen ZEIT.

Wenn aber ein Ressort den “Berichtigungs”-Kasten ritualisiert, dann ist die Ironie nicht zu übersehen. Genau das Richtige fürs taz-Feuilleton. Wie ein stummer Appell stehen die 6-12 Zeilen da: Bitte baut einen Fehler ein, damit wir jedenfalls morgen etwas zu berichtigen haben! Kleinvieh macht auch Mist, aber doch nicht täglich, und nicht auf zwei Kulturseiten. Stärker gefürchtet als spontane Nachrufe und Kommentare auf der Titelseite ist nur er: der kleine Berichtigungskasten, der täglich in einem rhetorischen Schlagabtausch von einem Schreibtisch zum nächsten geschoben wird. Und an besonders fehlerfreien Tagen landet er auf verschlungenen Wegen schließlich bei der Volontärin. Damit die sich irgendeinen Blödsinn ausdenkt. So was zum Beispiel:

Im nächsten Jahr werden wir viel zu berichtitititigen haben, denn während wir in die Tasten hauen, klopfen Bauarbeiter um die Ecke Steine – ein Jahr lang, Ruine raus, Haus rein. Zu schade, dass wir nicht zur Umweltbehörde gehen können wie unser Autor in Manila, der um Mitternacht mit “Morning Has Broken” beschallt wird, während wir hier den Morgen-Blues bekommen. Denn die taz liegt wohl kaum in einer “residential zone” und eine “Zone für lärmempfindliche Journalisten” ist in Berlin noch nicht eingeführt. Fragt sich, was schlimmer ist: unser Morgen-Blues oder “Morning Has Broken” um Mitternacht? Und ob Springer am anderen Ende der Rudi-Dutschke-Straße auch durchgeschüttelt wird?

War natürlich viel zu lang und ich hab’s auf kompakte sechs Zeilen zurechtgehämmert:

“Morning Has Broken” in Manila, Morning-Blues bei uns: Wo wir in die Tasten hauen, klopfen Bauarbeiter Steine – eieieiein Jahr lang: Ruine raus, Haus rein, Kopf kaputt. Viel zu berichtigen in nächster Zeit. Ob auch Springer durchgeschüttelt wird?

Und während der Preßlufthammer abgeht wie ein Techno-DJ auf LSD, schürfen wir tief und finden – nichts:

Statt Lack und Leder lauter Leere: kein Foto von Britney, weiße Wände bei Nedko Solakow, Krautrocker, die keine sein wollen – und die SPÖ ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Die Dienstags-taz widmete sich dem Nihilismus in all seinen Erscheinungen. Nicht mal zu einem saftig-peinlichen Fehler hat’s gereicht! Das Sommerloch wird zum Mahlstrom!