Zwischen Studio und Konzerthaus

Wer Popstar werden will, muss sich nicht in Casting- Shows quälen. Auch Hochschulen ebnen den Weg

veröffentlicht am 20. November 2011 in der Berliner Morgenpost >>

Einmal wäre Sebastian Leppert fast von der Uni geflogen. Er studiert Gesang am Jazz-Institut Berlin – ein Vollzeitjob, eigentlich. Nebenbei ging Leppert mit seiner Band YeoMen auf Kreuzfahrttourneen, erklärte Schülern den Beruf des Rockstars, produzierte Radioshows und nahm ein Album auf. Und sagte nie nein, nicht zum Feiern und nicht zu weiteren Projekten. “Ich habe so viele Stunden verpasst, dass mir ein Kurs nicht anerkannt werden sollte – das wäre das Aus gewesen”, erinnert sich Leppert und für einen Moment steht ihm der Schreck wieder ins Gesicht geschrieben. Er kriegte gerade noch die Kurve, bot an, die Leistungen auszugleichen. Und blieb.

Leppert hat wahnsinnig viel zu tun und er ist hier nicht der einzige. In den Räumen des Jazz-Instituts Berlin, kurz JIB, ist von der Krise der Musikindustrie nichts zu spüren. Im Flur künden Konzert- und CD-Plakate von den Erfolgen der Absolventen, hinter den Türen summt und klingt es. Mit dem Respekt dessen, der gerne dazugehören würde, tastet sich ein junger Mann durch die Cafeteria. Ob ihm hier jemand Details über die Aufnahmeprüfung verraten könne? Die Aufnahmeprüfung: von außen betrachtet ein Schreckgespenst, von innen ein Garant für kleinste Klassen und mitunter aussichtsreiche Karrieren. Von 75 Bewerbern wurden im vergangenen Jahr zwölf zugelassen; fünf Sänger und sieben Instrumentalisten erhalten vier Jahre lang ein praxisorientiertes Bachelorstudium auf internationalem Niveau.

Krise?” Jazzdozentin Judy Niemack-Prins lacht, lacht das Unwort einfach weg. Dass die Albenverkäufe in Deutschland um ein Viertel eingebrochen sind, seit das Internet illegale Musikdownloads ermöglicht: Ach was. Dass nur ein Bruchteil der produzierten CDs die Produktionskosten wieder einspielen können: Schulterzucken. “Jazz ist nicht so abhängig von Albenverkäufen”, erklärt Niemack. “Jazzalben dienen sowieso nur der Sichtbarkeit; sie schlucken mehr Geld als sie einbringen.” Finanziell habe sich keines ihrer zwölf Alben gelohnt. “Die Konzerte dafür umso mehr.”

Judy Niemacks herausragende Stimme zeigte sich, als sie mit sieben Jahren im Kirchenchor sang, zu Hause in Kalifornien. Ihr Entschluss, Sängerin zu werden, überraschte zehn Jahre später niemanden mehr. “Ich arbeitete jahrelang als Kellnerin, bis ich das Geld beisammen hatte, um zum Studieren nach New York zu gehen.” Aus dem rothaarigen Hippiemädchen wurde eine gefeierte Jazzsängerin; den Durchbruch schaffte sie mit selbst geschriebenen, modernen Jazzliedern: “Wir müssen heute nicht mehr die ganze Zeit von Liebe singen”, sagt Niemack und lacht. “Es gibt so viel mehr zu sagen – über Politik, Kultur, alles mögliche.” 1995 wurde Niemack die erste Professorin für Jazzgesang in Deutschland. “Die Bedingungen für Jazzmusiker sind hier besser als in den Staaten”, sagt sie. Das liege nicht nur daran, dass der deutsche Staat Jazzclubs und Studiengänge finanziell unterstützt: “Das Genre ist hier einfach noch frischer und die Konkurrenz nicht so groß.” Verglichen mit dem kleinen, feinen JIB nimmt die Ausbildung an der Deutschen Pop Akademie industrielle Dimensionen an: In sechs Städten betreibt der Musikdienstleister Music Support Group Schulen, die Ausbildungen zum Profimusiker, Songwriter oder Tonmeister versprechen. Trotz saftiger Gebühren trifft die private Schule auf große Nachfrage: 20 000 Schüler haben seit der Gründung 2005 Kurse in München, Hamburg, Köln oder Berlin belegt; gerade wurden neue Standorte in Nürnberg und Wien eröffnet, in Hannover steht man bereits in den Startlöchern.

Die grellen Plakate der Akademie kleben in jeder U-Bahn, doch der Berliner Standort versteckt sich am Ende einer grauen Einfahrt im Westen der Stadt. Marie Havemann hat hier vor einem Jahr ihren Abschluss als Tonmeisterin gemacht; für die zweijährige Ausbildung müssen die Schüler mittlerweile rund 14.400 Euro berappen – bei den meisten ein Fall für die Eltern. “Aber es hat sich gelohnt”, sagt Havemann. Sie hat nicht nur den Sprung in die Selbstständigkeit geschafft, sondern auch die Aufnahmeprüfung an der renommierten Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg (HFF).

Die 22-Jährige sieht nicht aus wie eine, die im Hintergrund die Fäden zieht – eher wie eine, die gleich auf die Bühne stürmt. Tontechnik ist nach wie vor eine Männerdomäne, doch Havemann hat ihre Jungs im Griff: “Das Spannendste ist es, die Ideen der Künstler in technische Entscheidungen zu überführen”, sagt Havemann. “Das ist ein sehr kreativer Prozess, eine Patentlösung gibt es selten.” Dass sie selbst Musikerin ist und die Berliner Szene kennt, hilft: “Die Musikbranche ist sehr informell”, meint Havemann. “Überall einen guten Eindruck zu hinterlassen ist wichtiger als Abschlüsse und Noten. Ich habe auch schon mal einen Job über eine Clubbekanntschaft bekommen.”

Als Privatschule bietet die Deutsche Pop zwar keinen staatlich anerkannten Abschluss, doch für einige Absolventen öffnen sich neue Türen. Marie Havemann betreut dort inzwischen Projektarbeiten jüngerer Schüler und nutzt das Studio für eigene Aufträge. Doch längst nicht jeder ist so erfolgreich: Die Schule räumt ein, dass gerade einmal einem Drittel der Absolventen der Berufseinstieg gelinge – Praktika mit eingerechnet. Bei einem weiteren Drittel reiche der Abschluss indes nur für “semiprofessionelle oder Hobby-Projekte”.

Castingshows wie “Deutschland sucht den Superstar” schüren bei Zigtausenden Hoffnungen auf eine Musikerkarriere; das hat die Musikerausbildung zu einem einträglichen Geschäft werden lassen. Und das, obwohl schon viele Daniel Küblböcks und Vanessa Struhlers sang- und klanglos verschwunden sind. In einem Lied der YeoMen macht sich Sebastian Leppert über den Hype lustig: “Deutschland sucht wieder irgendwen, Deutschland sucht und alle wollen es sehen, Deutschland sucht sich einen aus, Deutschland sucht und es wird nichts draus.”

Entsprechend vorsichtig formuliert Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), seinen Rat an angehende Profimusiker: “Wer heutzutage den Anspruch hat von seiner Musik zu leben, muss sehr breit ausgebildet sein und sich mischfinanzieren. Alleine auf den Faktor Popstar zu setzen ist gefährlich!” Sebastian Leppert macht es intuitiv richtig: Zwar kultiviert er seinen Ruf als Enfant Terrible – die YeoMen bezeichnen sich als die “Punks des Acapella” -, aber letztlich kann er sich seine Unbeschwertheit nur leisten, weil er pragmatisch denkt: “Wenn ich mal Geld brauche, gründe ich einfach eine Coverband, studiere an einem Tag 40 Lieder ein und spiele auf Betriebsfeiern und Hochzeiten.”