100 Weltfrauentage, 36400 Männertage

Rote Wäsche als Zeichen des Widerstands, brennende Schleier auf usbekischen Plätzen und ein neues Familiengesetz für die Marokkanerinnen: Seit 1911 hat der Internationale Weltfrauentag wichtige gesellschaftliche Anstöße gegeben, doch er wird auch immer wieder instrumentalisiert und banalisiert. Eine polemische Hommage

veröffentlicht im Nord-Süd-Magazin INKOTA-Brief, 03/2011 >>

„Schaffen wir ihn endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März!“ forderte Alice Schwarzer vor einem Jahr in der Frankfurter Rundschau. In den Augen der deutschen Hegemonial-Feministin ist der Internationale Frauentag bloß wichtigtuerisches Gedöns, Sektschlürferei und Schulterklopfen. (Auf Glossenschreiben und Emma-Relaunch zum 8. März will sie dennoch nicht verzichten.)

In Alices Wunderland, irgendwo zwischen Emma und Bild, mag das stimmen, doch für Frauen in der restlichen Welt war der 8. März oft ein wichtiger Anlass für Kampagnen, politischen Widerstand und ein Beginn der „Dekolonialisierung der Frau“, die Simone de Beauvoir im März 1976 forderte.

„Genossinnen! Arbeitende Frauen und Mädchen!” schrieb die deutsche Sozialistin Clara Zetkin 1911 knapp 100 Jahre zuvor in ihrer Frauenzeitschrift, die den programmatischen Titel „Gleichheit“ trug. „Der 19. März (der später zum 8. März wurde, Anm. d. Red.) ist euer Tag. Er gilt eurem Recht!” Eine Million Frauen gingen daraufhin zunächst in Deutschland, Dänemark, Österreich-Ungarn und der Schweiz auf die Straßen – eine solche Massenbewegung hatte es bis dahin nicht gegeben..

Mit Wäsche gegen den Faschismus
Doch das Wahlrecht, in Deutschland 1919 durchgesetzt, war nur der Anfang: Die Feministinnen der Weimarer Republik forderten kürzere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn, niedrigere Lebensmittelpreise, eine regelmäßige Schulspeisung und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Während der Weltkriege wurde der „sozialistische“ Feiertag verboten. Die Nazis ersetzten ihn durch den Muttertag, der ihrem Frauenbild eher entsprach. Doch im Untergrund lebte er weiter; wer am 8. März seine rote Wäsche im Fenster „auslüftete“, gab damit ein politisches Statement ab.

Der Kalte Krieg entzweite auch den Internationalen Frauentag: Um die sozialistischen Wurzeln zu vergessen, erfand der Westen einen neuen Gründungsmythos rund um einen Streik von Textilarbeiterinnen im New York des 19. Jahrhunderts. Die DDR eignete sich den Tag ihrerseits an, indem sie auf den Zusatz „Internationaler“ verzichtete. Die Partei nahm dem „Frauentag“ seine politische Verve; statt dessen überreichten Kinder ihren „Muttis“ (selbstgemalte) Blumen. Die autonome Frauenbewegung der frühen 70er Jahre konnte mit dem 8. März wenig anfangen: In ihrem Kommentar in der Frankfurter Rundschau verriss Alice Schwarzer ihn als „sozialistischen Muttertag“ einer Linken, die „zwar noch die letzten bolivianischen Bauern befreien wollte, die eigenen Frauen und Freundinnen aber weiter Kaffee kochen, Flugblätter tippen und Kinder versorgen ließ“. Nach der Wende blieben sich Feministinnen in Ost und West zunächst suspekt; der Weltfrauentag erlebte erst ab 1993 ein politisches Comeback – vor allem 1994 zum sogenannten „FrauenStreikTag“.

Heute ist das größte Projekt des Weltfrauentags wohl die Solidarität zwischen globalem Norden und Süden. 1977 erklärten die Vereinten Nationen den Internationalen Frauentag zum offiziellen Feiertag; Frauen in 26 Ländern, von Angola bis Zypern, haben an diesem Tag (zumindest halbtags) frei – nicht aber in Deutschland.

Süd und Nord unter einem Banner
Doch unter welchem Banner können sich Frauen an diesem Tag weltweit vereinen – die finnische Wissenschaftlerin und die peruanische Bäuerin, die indische Künstlerin und die nigrische Hausfrau? Die UN-Versammlung versuchte es 1993 mit einem allumfassenden Slogan: „Für die Rechte der Frau und den Weltfrieden, für Gleichberechtigung und für das Wahlrecht“.

In vielen Diktaturen war das Feiern des Frauentag ein Zeichen des Widerstands: Selbst die Gefangenen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück sollen den 8. März 1945 gemeinsam begangen haben. In der Pinochet-Diktatur wurden 100 Chileninnen verhaftet und misshandelt, als sie 1980 den Frauentag feierten. Doch das hielt sie nicht davon ab, sechs Jahre später erneut durch die Straßen zu ziehen: „Mit uns nicht mehr, denn wir sind mehr!“ (“No más porque somos más”). Pinochets Schergen beantworteten ihre Rufe mit Tränengas. Zum Frauentag 1999 demonstrierten Tausende Chileninnen gegen den Plan, Pinochet als „Senator auf Lebenszeit“ einzusetzen.

Gerade im globalen Süden schafft der Weltfrauentag eine Öffentlichkeit für wichtige Debatten und gibt einen Anstoß für Gesetzesinitiativen und gesellschaftliche Veränderungen: So war es ein 8. März (2001), an dem König Mohammed VI. von Marokko ankündigte, er werde das undemokratische Familiengesetz (Mudawanna) überarbeiten lassen. Und an einem anderen 8. März (2010) versprachen mehrere Führer der Acholi in Nord-Uganda, sich persönlich für einen besseren Schutz von Frauen einzusetzen, die in den zwanzig Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen besonders unter körperlicher Gewalt und Vergewaltigungen gelitten hatten.

Die von Simone de Beauvoir herbeigesehnte Dekolonialisierung der Frau gelingt nur, wenn die Frauen selbst die Themen bestimmen und die Feierlichkeiten in ihre eigenen Traditionen einbetten. Doch oft genug wurde der Tag von fremden und sogar gegenläufigen Interessen ausgenutzt: Erst im letzten Jahr protestierten ultrakatholische Spanier pünktlich zum Weltfrauentag gegen das neue Abtreibungsgesetz. Und 1927 schickten bolschewistische Parteikader ihre Frauen auf die öffentlichen Plätze Zentralasiens, um dort die Fortschrittlichkeit des Marxismus-Leninismus zu demonstrieren: In einer spektakulären Aktion rissen sie sich ihre Kopftücher von den Haaren und verbrannten sie. Reine Schau, wie ein satirischer Vers aus dieser Zeit suggeriert: „Am 17. März reiße ich meinen Schleier herunter,/ doch noch auf dem Heimweg/ habe ich drei neue Schleier gekauft,/ um mich noch dunkler zu kleiden.“

Heute wird der 8. März von den verschiedensten Gruppen instrumentalisiert, kommerzialisiert und banalisiert: Fitness-Studios locken mit Sondertarifen und Unternehmen geben Empfänge für kaufkräftige Kundinnen. Auf einem Flirtportal heißt es: „Heute feiern in Deutschland ganze Horden von gut gelaunten Frauen bei einem Glas Sekt zusammen und genießen vielleicht sogar eine Stripshow zur allgemeinen Belustigung. In dieser Laune steigen die Flirtchancen enorm. Also liebe Männer, ab in den nächsten Blumenladen.“ Ob Clara Zetkin das meinte: das Recht auf Blumen?

P.S.: Im Sinne der Gleichberechtigung sei darauf hingewiesen, dass es seit 1999 auch einen Internationalen Männertag gibt, der für Gleichberechtigung eintritt und männliche Vorbilder hervorheben will. Den Inkota-Brief Nr. 507 zu seinem 100. Jahrestag können Sie schon jetzt bestellen.

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