Voneinander lernen, füreinander streiten

Die BewohnerInnen von Sarayaku laden Touristen zu sich in den Regenwald ein – und sichern so ihr Überleben inmitten einer umkämpften Region

veröffentlicht im Nord-Süd-Magazin INKOTA-Brief, 06/2011 >>

Besucher des ecuadorianischen Regenwalddorfs Sarayaku nehmen für einige Tage am Dorfleben teil – und die Bewohner finden in ihnen nicht selten Verbündete im Kampf gegen den Raubbau auf ihrem Land. Wenn Gemeinden den Tourismus selbst in die Hand nehmen, ist der erste Schritt für eine nachhaltige Entwicklung oft schon gemacht. Ein Gespräch mit José Angun Gualinga, Tourismusbeauftragter von Sarayaku, über Risiken und Chancen einer großen Idee.

Herr Gualinga, warum lohnt sich ein Besuch in Sarayaku?
Der Besuch ist für die meisten Touristen voller Überraschungen: Wir holen sie in der nächsten Stadt Puyo mit Kajaks ab und erreichen das Dorf nach einer Tagesreise auf dem Fluss. Sie wohnen wie wir in Bambushütten, essen mit uns und lassen sich von unseren Reiseführern die Tier- und Pflanzenwelt des Regenwalds zeigen. Die Touristen erwarten Schmetterlinge und wilde Tiere,, aber keine gut organisierten Dörfer, die mit ausländischen Universitäten kooperieren und sich auf internationalen Konferenzen zu Klimafragen und Menschenrechten äußern. Unsere alltäglichen Probleme sind für sie das reinste Abenteuer. Und wir lernen von ihnen: wie sie leben, was sie machen, woher sie kommen.

Wer sind die Touristen, die nach Sarayaku kommen?
Leider kommen bislang nur rund 150 pro Jahr, meist in Gruppen von einem Dutzend Besuchern. Es sind viele Europäer und US-Amerikaner darunter, außerdem einige Ecuadorianer. In diesem Jahr kommen jedoch noch weniger als sonst: Weil es im letzten Herbst Unruhen in Quito gab und weil Ecuador mittlerweile sehr teuer ist, reisen viele lieber in die Nachbarländer.

Auch kommerzielle Reiseagenturen bieten Touren in den Regenwald an – was ist das Besondere an einem gemeindebasierten Projekt wie Sarayaku?
Der Unterschied ist riesig – für uns, aber auch für die Reisenden. Beim sogenannten „turismo comunitario“ hat das Dorf alles in der Hand: die Art des Tourismus, die Selbstdarstellung – und letztlich auch die Einnahmen. Uns ist es wichtig die Besucher direkt an unserem Wissen und an unserer Gemeinschaft teilhaben zu lassen, ohne externe „Vermittler“.
Allerdings gibt es viele Trittbrettfahrer, fremde Anbieter, die mit einem Boot voller Urlauber in Sarayaku anlegen und behaupten, es handle sich um Gemeindetourismus. Dabei bereichern sich diese Agenturen nur, ohne sich für den Schutz der Natur einzusetzen oder den Urlaubern kulturelle und soziopolitische Hintergründe zu vermitteln. Das lassen wir uns nicht gefallen.

Wie reagieren Sie auf solche Versuche Ihr Dorf als Kulisse zu benutzen?
Wenn so ein Piratenboot auftaucht, gehen wir einfach mit ein paar Dorfältesten hin und sagen den Veranstaltern unsere Meinung. Das wirkt fast immer.

Bleibt den Bewohnern genügend Privatsphäre, wenn Touristen im Dorf herumlaufen und „authentisches“ Leben im Regenwald sehen wollen?
Dafür haben wir zusammen mit Tourismusinitiativen in ganz Lateinamerika klare Regeln aufgestellt: Die Gäste müssen sich an die Weisungen der Reiseführer halten, dürfen keinen Alkohol mitbringen und vor allem nicht ungefragt Dorfbewohner bei den Häusern fotografieren. Außerdem bitten wir sie, keine Versprechungen zu machen, die sie nicht halten können.

Welches Interesse hat das Dorf an diesem Projekt?
Um die Jahrtausendwende wurde uns und anderen indigenen Gruppen der Region klar, dass wir dringend Wirtschaftsaktivitäten entwickeln müssen, um dem Raubbau am Regenwald eine Alternative entgegenzusetzen. Wir können unsere natürlichen und kulturellen Ressourcen nur bewahren, wenn wir stark und unbestechlich sind. In der regionalen Indigenenversammlung OPIP (Organización de Pueblos Indígenas de Pastaza) haben wir vier Wirtschaftsprojekte entwickelt: eine genossenschaftliche Bank, ein Kulturzentrum, ein Kichwa-Restaurant und eben den Gemeindetourismus. Wir wussten: Wenn wir das nicht schaffen, sind wir verdammt in Armut und Elend unterzugehen wie so viele andere Gemeinschaften in Ecuador.

Viele gemeindebasierte Tourismusinitiativen sind an fehlendem Fachwissen zugrunde gegangen. Hatten Sie damit Schwierigkeiten?
Die Anfänge waren nicht einfach: Das Wort „Tourismus“ war im Dorf nahezu unbekannt, da wir selbst nie zum Vergnügen reisen, nur zu Versammlungen und Vorträgen über unseren Kampf gegen die Ölfirmen. Außerdem kannten wir uns mit Betriebswirtschaft, Finanzverwaltung, Marktstrategien und all diesen Dingen überhaupt nicht aus. Und von den regionalen und nationalen Behörden kam keine Unterstützung, etwa bei der Infrastruktur: So gibt es im Dorf bis heute kein fließendes Wasser, elektrisches Licht oder sanitäre Anlagen. Allerdings waren die externen Probleme viel gravierender…

Was ist passiert?
Kommerzielle Tourveranstalter nutzten damals ihren Einfluss beim Tourismusministerium, um indigene Tourismusprojekte zu verbieten. Aber wir haben gelernt uns zu wehren: Zusammen mit anderen Tourismusinitiativen gründeten wir 2003/2004 eine nationale Organisation für Gemeindetourismus mit Sitz in Quito (Federación Plurinacional de Turismo Comunitario de Ecuador), durch die wir unsere Anerkennung erstreiten konnten. Aber das war längst nicht das einzige Hindernis. Im Jahr 2001 erlitt unser noch junges Projekt einen schweren Schlag: Unter merkwürdigen Umständen ging die OPIP-Zentrale im Zentrum von Puyo in Flammen auf; neben der Datenbank haben wir unseren Treffpunkt und Güter im Wert von rund einer Million US-Dollar verloren. Wir haben sieben Jahre gebraucht, um uns davon zu erholen – die drei anderen Tourismusdörfer in der Region haben aufgegeben.

Wie stellen Sie sicher, dass die Einnahmen allen zugute kommen?
Für eine Viertagestour mit Übernachtung, Vollpension, Kajaktransport, Touren und Reiseführer nehmen wir pro Gast 122 US-Dollar (82 Euro), bei einer Gruppe von acht Personen. 15 Dollar pro Besucher zahlen wir in einen Fonds, aus dem wir Gesundheits- und Bildungsprogramme, den Erhalt unseres Waldes und den Widerstand gegen die Ölfirmen finanzieren. Mit dem Rest decken wir die Ausgaben und zahlen den Jugendlichen, die sich um die Reisenden kümmern, ein Taschengeld.

Sarayaku leistet bis heute Widerstand gegen die Erdölförderung auf seinem Regenwaldgebiet. Hilft der Tourismus beim Kampf gegen die Ölindustrie?
Ja, sehr! Wir zeigen den Touristen Filme über unseren Widerstand und erzählen davon. Die meisten finden es toll zu sehen, wie ein kleines Dorf Militär und mächtige Konzerne vertreiben kann, und das ohne Gewalt.* Viele möchten wiederkommen und einige unterstützen uns auch nach ihrer Rückkehr. In Krisenmomenten, wenn das Militär mal wieder auf unser Gebiet vordringt, schlagen ein paar unserer ehemaligen Gäste ordentlich Krach. Und internationale Aufmerksamkeit hilft immer!

José Angun Gualinga ist Bürgermeister von Sarayaku und verantwortlich für den Tourismus. Amnesty International ernannte den Kichwa-Führer 2008 zu einem der 15 „herausragendsten Verfechtern der Menschenrechte weltweit“.

Fotos: Dimas Streich/flickr.com (1), Comunidad de Sarayaku (3)

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