Krokodilleder und Straßenstaub

Koloniale Mimikry verwirrt und provoziert – bis heute. Die kongolesischen Sapeure haben die belgische Kolonialmacht imitiert – und wurden unterdrückt. Mimikry galt als Widerstand; beim Blick in den Spiegel grauste es den Herrschern vor sich selbst. In der SAPE-Bewegung lebt das Spiel mit den Identitäten fort und bekommt im europäischen Exil eine neue Bedeutung.

veröffentlicht im SÜDLINK, dem Nord-Süd-Magazin von Inkota, 06/2012, S. 34-35 >>

Foto: Francesco Giusti (courtesy of the photographer)

Jeden Sonntag verwandelt sich Kinshasa in einen Laufsteg. Hinter einer Wellblechmauer tritt ein Dandy hervor: Schottenkaros auf Shorts und Krawatte, eine dicke Cohiba in der Hand – farblich passend (rot), aber nicht angezündet (zu teuer). Die Kinder des Viertels rennen barfuß herbei, in den Hauseingängen erscheinen die Köpfe der Erwachsenen. Diese Szene ist auf einem Foto von Francesco Giusti zu sehen, und sie spielt sich so ähnlich jeden Sonntag in Brazzaville und Pointe-Noire ab, in Paris und Brüssel – fast überall, wo es eine urbane kongolesische Community gibt. Krokodillederschuhe wirbeln den Straßenstaub auf – hier kommt der zweite Dandy, eleganter noch als der erste: Er schwingt seinen weißen Gehstock, steckt sich eine kalte Pfeife in den Mundwinkel und lupft sein Hosenbein, sodass alle seine Seidensocken bewundern können. Von Montag bis Samstag liegt dieses Viertel in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, jenem Land, das eine brutale Kolonialherrschaft und drei der blutigsten Bürgerkriege des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Doch sonntags wird der Krisenherd zum Wunderland. Dann nämlich treffen sich die Sapeure, die Mitglieder der altehrwürdigen Société des Ambianceurs et Persons Élégants (= SAPE, Gesellschaft des guten Ambientes und der eleganten Personen) zum Wettbewerb um den formvollendeten Auftritt, das geschmackvollste Kostüm und die maximale Coolness.

Parodie auf die Kolonialherren
Der Kontrast könnte größer nicht sein – und er ist beabsichtigt. „Das fühlt sich sehr imperial an“, sagt SAPE-Mitbegründer Papa Wemba in einer BBC-Dokumentation, als er einen schweren Pelzmantel anlegt. „Wenn du das trägst, fühlst du dich wie ein König, wie ein Chef.“ Die Sapeure geben sich hochtrabende Namen – „Roi de Gaulle“, „Erzbischof“, „Pariser“ – und einige tragen französische Orden oder Schärpen in den belgischen Nationalfarben.
Die Dandy-Bewegung entstand als Reaktion auf die Kolonialherrschaft – als Parodie, aber auch als Wettstreit mit den überlegen auftretenden Europäern. Mit Anzug und Hut begannen Kongolesen den Stil der Bourgeoisie zu imitieren, später kamen künstliche Glatzen und vorgetäuschte Bäuche hinzu. „Die Sapeure übernehmen das Spiel ihrer Kolonialherren und versuchen, sie auf deren eigenem Terrain zu schlagen, indem sie der europäischen Mode ihren eigenen Dreh geben“, schreibt das afroamerikanische Magazin Booker Rising. Als der kongolesische Politiker und Widerstandskämpfer André Grenard Matsoua 1922 im Gewand eines Pariser Gentlemans aus Frankreich zurückkam, war der SAPE geboren – als Idee, die koloniale Hierarchie durch einen eigenen Kodex der Eleganz und Moral zu überwinden.
Die Extravaganz des SAPE, die viele Sapeure in den Ruin oder ins Gefängnis führt, mag erstaunen. Doch sie ist die Antwort auf eine Situation, die seit der Kolonialzeit keine Normalität, keine Kontinuität mehr kennt; zwischen Bürgerkriegen und Migration stellt megalomanische Mode eine neue Identität her. „Wie viel kostet das?“ fragt ein Sapeur in der BBC-Dokumentation und deutet auf eine Designerweste. – „8.250 Euro.“ – „Damit könnte ich in Kinshasa ein halbes Haus kaufen.“ – „Entscheide Dich.“ In der nächsten Einstellung trägt er die Weste.
Autonomie durch Stil
Die Sapeure sind mehr als eitle Selbstdarsteller; mit ihrem hybriden Stil lehnen sie sich gegen die vielen Bevormundungsversuche auf, denen die Kongolesen seit der Kolonialzeit ausgesetzt waren: So war der SAPE-Kult nicht nur unter den Belgiern verboten, die sich verballhornt sahen, sondern auch unter Diktator Mobuto, der – inspiriert durch den Kommunismus und die „négritude”-Bewegung – nur die schnöde Abacost-Uniform duldete. Die Sapeure aber wollten und wollen sich nicht in das Klischee des „natürlichen“ und „authentischen“ Afrikaners zwängen lassen; der SAPE ist ihr Manifest einer hybriden Kultur – und ein Schrei nach Anerkennung. Für Frantz Fanon, den Psychiater und Philosoph aus Martinique, waren Imitationen der Weißen ein Zeichen für einen panafrikanischen Minderwertigkeitskomplex. In seinem postkolonialen Klassiker „Schwarze Haut, weiße Masken” – geprägt durch eigene Erfahrung in der französischen Armee – beschreibt Fanon, wie der Kolonialisierte die ihm entgegengebrachte Geringschätzung internalisiere und eine entfremdete Selbstwahrnehmung entwickele. Er könne die entstandene Lücke nur durch den kulturellen Code und die Statussymbolen des Kolonialherren füllen.
Doch der SAPE ist keine „weiße Maske“ in Fanons Sinne – die groteske Imitation gibt den Dandys vielmehr Macht über ihre einstigen Machthaber. Darin ähnelt der SAPE dem Hauka-Kult, den der französische Ethnologe Jean Rouch 1953 in seinem Dokumentarfilm „Les Maîtres Fous“ („Die verrückten Herrscher“) verewigt hat. Seit den 1920er Jahren wurden immer wieder Nigrer aus der Gruppe der Songhay (Djerba und andere) von Geistern ehemaliger Kolonialverwalter befallen, die sie „Hauka“ nannten: „neue Götter, Götter der Stadt, der Technik, der Macht“, wie es Jean Rouch übersetzt. Arbeitsmigranten aus dem Niger brachten den Kult unter anderem ins ghanaische Accra, wo sie Rouch baten das wöchentliche Besessenheitsritual zu filmen.
Filmstill: Les Maîtres Fous, 1953, dir. Jean Rouche

Macht verkörpern, Macht erlangen

Rouch zeigt, wie die Geister in die Körper der Arbeiter eindringen und diese vollkommen in Besitz nehmen – mit allen Zeichen der Besessenheit wie schäumenden Mündern und rollenden Augen. Zum Beweis dafür, dass der Rollenwechsel vollzogen ist, verbrennen die Hauka sich mit Feuer und kochendem Wasser und verspeisen sogar einen Hund – in der Songhay-Kultur ein Tabu. Mit abgezirkelten Bewegungen und Schreien in französischer Sprache verkörpern sie hochrangige Kolonialbeamte; sie berufen Konferenzen am runden Tisch ein, tragen Machtkämpfe aus und machen kleinliche Streitigkeiten zur Staatsangelegenheit: „Soll der Hund gekocht oder roh gegessen werden?“

Dabei legen sie größten Wert aufs Protokoll und Details: Bettlaken dienen als Union Jack, Stöcke als Gewehre und ein über dem Kopf zerschlagenes Ei ersetzt den weißen Helmbusch der englischen Garde. Wie viel davon transzendentes Geschehen und wie viel Performance ist, lässt Rouch bewusst offen. Nur an einer Stelle deutet er subtil an, dass das Geschehen nicht ganz so fremdbestimmt ist wie es scheint: Kurz bevor die Taxis auf den teuren Nachttarif umstellen, verlassen die Geister die Körper und die Arbeiter treten den Rückweg in die Stadt an.

Wie der Historiker James G. Ferguson beobachtet, hatten Kolonialmächte immer ein gespaltenes Verhältnis zur Imitation, zur Mimikry: „Einerseits versuchten sie ihre Untertanen zu ‚zivilisieren’ und sie nach dem Bilde der Europäer zu formen […]. Andererseits drohten Imitationen immer exzessiv und unkontrolliert zu werden und die klaren Grenzen zwischen Siedlern und Einheimischen zu durchbrechen, auf die die Kolonialordnung angewiesen war.“
Der Blick in den Spiegel
Im Fall des Hauka-Kults war die Frage für die französischen Kolonialregierung im Niger und die britischen Machthaber in Ghana klar: Sie begriffen die Parodie als intolerablen Affront und offenen Widerstand – der Kult und sogar Rouchs Film wurden verboten. „Die Hauka wurden 1935 eingesperrt, weil sie den weißen Mann darstellten, der von ihrem Körper Besitz ergriff, und Rouchs Film wurde wiederum in den fünfziger Jahren verboten, weil er diese Darstellung darstellte“, schreibt der Ethnologe Michael Taussig. Diese Reaktion enthüllt ein System, dem es bei dem Blick in den Spiegel vor sich selbst graust. Denn, so sagt es Rouchs Sprecher im Prolog zu Recht: „Dieses gewalttätige Spiel ist nichts als der Spiegel unserer eigenen Zivilisation.“
Die Mimikry der Sapeure und Hauka-Anhänger ist keineswegs ein Zeichen der Kapitulation oder ein Versuch der Assimilierung – im Gegenteil. Die Verkörperung der Herrscher hilft ihnen koloniale Unterdrückungserfahrung zu verarbeiten und sich die gegen sie gerichtete Macht auf friedliche Weise selbst anzueignen. Statt die Mode oder das militärische Prozedere eins zu eins zu übernehmen, stellen sie das herrschende System auf den Kopf und versuchen so die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen und sich neu zu erfinden.
Der Hauka-Kult hat das Ende der Kolonialzeit nicht überlebt; die Sapeure hingegen exportieren ihren Stil in die afrikanische Diaspora europäischer Großstädte. 2010 ließ sich der britische Modemacher Paul Smith von dem afroeuropäischen Stil inspirieren und brachte SAPE auf seinen Catwalk. Doch vor allem sind die Sapeure dabei, sich vom Fluch des ewigen postkolonialen Zitats zu emanzipieren: Jocelyn Armel hat in Paris das erste kongolesisches Label gegründet: Connivences. Jetzt müssen die Sapeure nicht mehr die ehemaligen Kolonialmächte bereichern, um sie zu parodieren.
Headerfoto: Francesco Giusti
Zum Weiterlesen und Weitersehen:
George Amponsah: The Importance of Being Elegant, 2004, BBC, vimeo.com/1125451.
Daniele Tamagni: Gentlemen of Bacongo (Fotoband), 2009, Trolley Books.
Francesco Giusti: Sapologie (Fotoserie, ausgezeichnet als World Press Photo 2009): http://francescogiustiphoto.viewbook.com/sapologie.
Jean Rouch: Les Maîtres Fous, 1954, http://vimeo.com/16149401.
Alain Mabanckou: Black Bazar (Erzählung), Paris 2009(dt. Übersetzung München 2010).