Massaker per SMS

Während das deutsche Asylrecht einen Großteil aller Bewerber ablehnt, hat es einen kongolesischen Rebellenchef jahrelang als “politischen Flüchtling” geschützt. Bürokratie und fehlende Kooperation haben den Prozess um Jahre verzögert – genug Zeit für ihn, um mehrere Massaker im Ostkongo zu organisieren. Per SMS, von Mannheim aus.

veröffentlicht im Nord-Süd-Magazin INKOTA-Brief, 06/2011, S.4 >>

Er spricht fließend Deutsch, hat in Bonn promoviert und in Mannheim eine Familie gegründet: Ignace Murwanashyaka erfüllte alle Voraussetzungen, um bei Behörden und Nachbarn als „Musterbeispiel für Integration“ durchzugehen. Doch hinter der bürgerlichen Fassade verbirgt sich der oberste Befehlshaber der ruandischen Rebellengruppe FDLR. Von seiner Mannheimer Wohnung aus soll er Massaker im Ostkongo gesteuert haben, bei denen über 200 Menschen brutal ermordet, Frauen vergewaltigt, Kinder als Soldaten entführt, ganze Dörfer niedergestreckt wurden – durch nichts als eine SMS an seine Milizen.
Sieben Jahre lang hat Murwanashyaka die Provinz Nordkivu mutmaßlich in Angst und Schrecken versetzt, während Deutschland ihn als „politischen Flüchtling“ schützte. Jetzt stehen er und sein Stellvertreter Straton Musoni in Stuttgart vor Gericht. Das ist gut so, kommt aber viel zu spät! Denn mit etwas mehr politischem Willen hätte die deutsche Justiz die schlimmsten Massaker in den Jahren 2008 und 2009 vermutlich verhindern können.
Die Anklage stützt sich auf das sogenannte Weltrechtsprinzip, wonach völkerrechtliche Verbrechen weltweit zu verfolgen sind, egal wo und an wem sie begangen wurden. Bislang blieb das deutsche Völkerrechtsstrafbuch eine bloße Formalie: Während unsere Nachbarländer längst spezielle Ermittlungseinheiten mit völkerrechtlichen Strafanzeigen beschäftigen, landeten diese hierzulande im Papierkorb der Karlsruher Bundesanwälte – etwa 2006 im Fall des ehemaligen usbekischen Innenministers Zakir Almatow.
Sicher, das Weltrechtsprinzip ist umstritten. Da könnte doch jeder kommen, mögen KritikerInnen rufen. Wäre Deutschland etwa einverstanden, wenn die DR Kongo einen deutschen Waffenlieferanten zum Tode verurteilen würde, mit Verweis auf das Weltrecht? Zugleich mutet es neokolonialistisch an, solange nur Staaten des globalen Nordens universelles Recht anwenden. Und wer garantiert, dass nicht ökonomische und diplomatische Interessen über die Aufnahme eines Falls entscheiden, sondern juristische Wahrheit? Daher sollten die Staaten mittelfristig besser den Internationalen Gerichtshofs (IStGH) in Den Haag ausbauen, der momentan nur etwa zehn Fälle pro Jahr bearbeiten kann – und nur solche, die sich nach seinem Gründungsjahr 2002 ereignet haben. Für alles andere sind die nationalen Gerichte nach wie vor der einzige Weg.
Gewiss: Weltrecht und Willkür können sich gefährlich nahe kommen. Doch der Fall Murwanashyaka liegt anders. Als „Weltpolizei“ hat sich Deutschland bestimmt nicht aufgespielt, im Gegenteil: Spätestens seit 2006 wusste die Bundesanwaltschaft, mit wem sie es zu tun hat. Das juristische Vorgehen in den entscheidenden Jahren war eine Farce: Bürokratische Strukturen, mangelnde Kooperation mit den UN und den hilfsbereiten ruandischen Richtern, politische Ahnungslosigkeit und Ignoranz machten es dem FDLR-Chef leicht. Ein einziges Mal stand Murwanashyaka wirklich vor Gericht: wegen Verletzung der Aufenthaltsbestimmungen!
Hier ist der Prozess nur eine Randerscheinung, im Kongo entscheidet er über Leben und Tod. Ohne den charismatischen Anführer ist die Moral der Truppe dahin; schon haben 1.500 Rebellen angeboten die Waffen niederzulegen. Eine Verurteilung wäre der Anfang vom Ende des Bürgerkriegs. Und in Deutschland würde das einen Präzedenzfall schaffen, der in Zukunft nicht so leicht zu umgehen ist.

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