Kuuva, Suomi

Eindrücke aus meinem ersten Winter in Finnland, in Vers und Prosa

Im Winterzelt zweisam
überlebt sich am besten, was einsam
zu Tode erschrecken,
vor Kälte erstarren ließe.
Ein Stück Stoff, das den Schnee siebt,
uns mit hinabzieht
– dorthin, wo das Meer knackt und schweigt –
ist unsere Scholle der Zivilisation inmitten
tödlicher Natur, die nichts übrig ließ,
was nicht schon weiß und hart war,
ist es jetzt.
Der Leuchtturm draußen, die majestätischen Fähren,
sind nur noch Symbole,
die uns im Siebensekunden-, Zweistundentakt daran erinnern,
dass die Menschheit die Fahne gehisst hat, seit Jahrhunderten
sich als Gewinner schreibt gegen die Natur,
wo nicht Einzelmenschen zittern, taumeln –
Ein Sieg,
den Leuchtreklamen über der Stadt und
immer gefüllte Schaufenster verkünden,
als wäre dem einsamen Menschenwesen dort unten
tatsächlich die Erleuchtung gekommen, als wären
seine Taschen nicht leer.
Schiffe fahren vorbei und winken nicht,
der Leuchtturm spricht kalt uns die Kunde vom Hafen
hinter tödlich splitterndem Eis,
dessen Matrosen bemützte Maschinen
und keine Menschenfischer mehr sind,
dessen Skyline den Himmel zementiert.
Im Winterzelt zweisam
erlebt sich am besten
die Menschheitsdämmerung.

– Für A. –

 

 

 

 

 

 

Turku mit seinem vereisten Fluss, seiner Sowjetarchitektur und den ewiglangen finnischen Leuchtreklamen (“Kauppatorihuamäri…”) wirkt auf mich dezent exotisch. Kein Vergleich mit dem modernen und mondänen Stockholm auf der gegenüberliegenden Seite der Ostsee, wo auch ich noch das meiste verstehe.
Bei zweistelligen Minusgraden sind wir letzte Nacht über eine Brücke auf eine der Schäreninseln hinausgeradelt und haben dort auf einer Landzunge namens ‘Kuuva‘ gezeltet. In weiter Ferne eine gewaltige industrielle Geisterstadt aus orangem Licht. Davor die Schollen der überfrorenen Ostsee, zwischen denen alle paar Stunden in majestätischer Stille eine Stockholmfähre dahingleitet, kaum 100 Meter von uns entfernt. Die gleiche, die uns eine Nacht später zurückbringen soll. Unendlich weit entfernt erscheint das von unserem Überwinterungsabenteuer. Zum ersten Mal übernachte ich in einem Zelt, das langsam in den tiefen Schnee einsackt. Was wir nicht in unseren Schlafsäcken hatten, ist am Morgen steif gefroren und eiszapfenbehängt. Die erste Lektion des Winterzeltens schmerzt an Fingern und Zehen.
Doch in der Morgendämmerung verlieren die zackigen Schollen alles Bedrohliche der Nacht und leuchten hellblau auf. Und die ersten Strahlen der Sonne tragen meine Erinnerung an einen sehr entlegenen Ort zurück: Am Morgen vor der Ankunft in Buenos Aires hatte ich nach zehnstündigem Flug diagonal über den Atlantik aus dem Fenster geschaut – just in dem Moment als unter dem Flugzeug die Küste Brasiliens im flüchtigen Rotlila des Morgens aufschimmerte, zwischen einer Decke aus Wolken statt aus Eis.

(noch ein Suomi-Kuriosum: “Uusikaupunki bald ohne Porsche”, taz-Kolumne von Ines Kappert, 8.7.09 >>)