Kochen für Milliarden

Das Auge isst mit: Inszenierung spielt in Straßenküchen eine wichtige Rolle. So wählen auch diese FotografInnen eine ungewöhnliche Perspektive auf das Alltägliche.

veröffentlicht im SÜDLINK, dem Nord-Süd-Magazin von Inkota, 12/2011, S.16 des Dossiers >>

Es ist das Essen, vor dem Reiseführer warnen: zu unhygienisch, zu ungesund, zu…unwiderstehlich! Unwiderstehlich kommt es uns auf diesen Fotografien entgegen: die säuberlich aufgereihten Maiskolben auf einem Platz in Salvador da Bahia, das feucht-fröhliche Zapfvergnügen in einer chinesischen Hafenstadt, das schlichte Eibrötchen in Vietnam und das zuckersüße Granita-Eis in den peruanischen Anden.
Improvisierte Essensstände und -wagen gehören in den meisten Städten der Welt zum Straßenbild dazu. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen isst gut jeder dritte Erdenbürger täglich auf der Straße. Kochen für 2,5 Milliarden Menschen, welch gigantische Aufgabe! Das kann auch das Pariser Internationale Festival der Kulinarischen Fotografie (FIPC) – für gewöhnlich ein Treffpunkt von Studiofotografen und Haute Cuisine – nicht länger ignorieren: In seinem diesjährigen Wettbewerb widmet es sich dieser scheinbar profanen Gastronomie und zeigt die unterschiedlichsten fotografischen Zugänge: von dokumentarisch-beobachtend bis studiohaft-inszeniert.
Inszenierung spielt in diesen sichtbarsten aller Küchen eine wichtige Rolle – und auch die FotografInnen wählen eine ungewöhnliche Perspektive auf das Alltägliche. Sergio Coimbra und Isabelle Rozenbaum nähern sich der Szenerie von oben. Obwohl wir die Gesichter der Verkäuferin und des Verkäufers nicht sehen, stellen ihre Bilder eine intime Nähe her; wir sehen die präzisen, tausendfach wiederholten Handgriffe als wären es unsere eigenen. Mario Silva Corvetto schafft eine andere Nähe; sein Bild ironisiert die Rolle des Straßenkochs, der immer auch ein wenig Zirkusdirektor und Alleinunterhalter ist. Ausgerechnet ein älterer Eisverkäufer tief in den peruanischen Anden ist der Star seines Pop-Art-Portraits: Dario Huraoc, dessen Stand noch farbenfroher und dessen Lachen noch einladender ist als sein Wassereis.
Coimbras Bahianerin führt das Klischee des schmutzigen Straßenessens ad absurdum: Wie eine Märchenerscheinung aus dem Rococo thront die Dame in Weiß auf dem dunklen Platz, ein Sonnenstrahl lässt Kleid und Decke weiß aufleuchten, die Speisen setzen farbliche Akzente. Coimbras Bild ist so puristisch wie eine Installation, es erkundet Licht und Schatten, das Muster des Pflasters und die Textur des Stoffes – und nährt dabei das Geheimnis um die unbekannte Bahianerin. Wer möchte da nicht den Aussichtspunkt verlassen und die Warnungen der Reiseführer in den Wind schlagen?

Headerfoto: Sergio Coimbra