“Wir sind nicht gekommen, um zu bleiben”

Hilfsorganisationen müssen so früh wie möglich Verantwortung an die Menschen vor Ort übertragen, meint Gutachter Kai-Uwe Seebörger. Nur so könnten sie verhindern, dass die Menschen bei Projektende ins Nichts fallen. Bei einem Projekt der Welthungerhilfe in Ruanda hat dies schon geklappt. Seebörger über Aufbruchstimung im Mwogo-Tal und Analysen mit Analphabeten.

veröffentlicht in der “Welternährung” 1/2015 >>

Herr Seebörger, können Sie binnen zwei Wochen überhaupt beurteilen, was ein Projekt in Ruanda bewirkt?

Da die Zeit vor Ort sehr begrenzt ist, muss ich die Projektunterlagen – meist Dutzende von Seiten – schon vor Antritt der Reise sehr gut lesen. Vor Ort kann es manchmal schwierig sein, bestimmte Aussagen und Erkenntnisse aus dem Projektalltag zu verifizieren und zu abstrahieren, da man selten mit allen Beteiligten an allen Orten sprechen kann. Bei der Beurteilung hilft mir, dass ich selbst jahrelang Projekte im Sahel für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) verantwortet habe – ich kenne die schwierigen Bedingungen an der Basis also.

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Wie war es, als Sie damals evaluiert wurden?

In Mali und Niger habe ich drei Evaluationen mit vorbereitet und erlebt. Das bedeutet für alle Beteiligten im Projektteam viel Vorbereitung, Arbeit und Anspannung. Schließlich möchte man, dass das Projekt möglichst gute Ergebnisse bescheinigt bekommt. Da ist es schon wichtig, mit seinen Teamkollegen gerade auch eventuelle Schwachstellen zu identifizieren und diese den Evaluatoren plausibel erklären zu können.

Was hätten Sie in Ruanda gerne intensiver recherchiert?

Die Frage, inwiefern Frauen in den Haushalten über die Verwendung von Nahrungsmitteln und Einkommen mitentscheiden. Außerdem hätte ich gern genauer beobachtet, in wie fern Landrechte die Übernahme verbesserter Landnutzungstechniken beeinflussen. Dass alle Sümpfe dem Staat gehören und ein Teil der Hanglagen während des Genozids 1994 Ermordeten, schien einige Bauern davon abzuhalten noch mehr zu investieren. Aber beide Themen – die Rolle der Frauen und die Bodenrechte – sind sozial brisant; sie intensiver zu thematisieren, würde viel Vertrauen und Zeit voraussetzen – mehr als man in zwei, drei Wochen erreichen kann.

Welche Methoden bringen Ihnen die besten Erkenntnisse?

Am liebsten verwende ich partizipative Methoden, bei denen sich die Menschen vor Ort kreativ in ihrer eigenen Sprache ausdrücken können. Wenn ich es mit einer Gruppe zu tun habe, die zumindest die für sie wichtigen Begriffe lesen und schreiben kann (funktionale Alphabeten), finde ich SWOT-Analysen gut, die Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen herausstellen. Analphabeten bitte ich, ihre Aussagen durch selbst gewählte Symbole zu visualisieren. Dafür können auch lokale Materialien herhalten; so habe ich Bauern im Sahel gebeten, ihre Erfahrungen zu bestimmten Themen in den Sand zu zeichnen, was gut geklappt hat. Wenn ich Konflikte vermute, setze ich stärker auf Einzelinterviews – darin äußern sich meine Gesprächspartner offener als vor der ganzen Gruppe.

Arbeiten Sie gerne mit lokalen Co-Evaluatoren zusammen?

Ja, schließlich bringen sie viel mehr Hintergrundwissen mit – etwa zu gesellschaflichen Strukturen oder lokalen Anbautechniken – und können uns ausländischen Kollegen eine gute Orientierungshilfe sein. Außerdem übernehmen sie auch die Rolle des Übersetzers, die in Ein-Mann-Evaluationen oft den Projektmitarbeitern zufällt; das kann die Unabhängigkeit der Recherche beeinträchtigen.

Bei einer Evaluation sind Sie lange mit dem Projektteam unterwegs. Wie bewahren Sie Ihre Unabhängigkeit und gehen auf Distanz, wenn es sein muss?

Trotz freundlicher Atmosphäre muss man manchmal umschalten und sehr ernsthaft nachhaken. Schließlich habe ich meinen Namen als kritischer Gutachter zu verteidigen. Ich lasse mich von Projektleitern dutzen, wenn die Atmosphäre danach ist, aber ich verbrüdere mich nicht. Bei dieser Evaluation war ich von der guten Vorbereitung und den schnellen Reaktionen auf meine Nachfragen begeistert. Deshalb habe ich manchmal abends noch mal ein Bier mit den Mitarbeitern getrunken – das ist aber die Ausnahme. Privat versuche ich Distanz zu wahren, um keine falschen Erwartungen zu wecken.

Evaluation ist für mich keine Prüfung, sondern ein gegenseitiger Lernprozess. Ungehalten werde ich allenfalls, wenn ich den Eindruck habe, Gesprächspartner versuchen mir Informationen vorzuenthalten oder mir etwas vorzuspielen. In Westafrika hat mir ein Projektmitarbeiter mal gesagt: „Schriftliche Monitoring-Aufzeichnungen gibt es bei uns nicht, weil wir eine sehr ausgeprägte orale Kultur haben.“ Es gab natürlich welche, aber er wollte sie mir eigentlich nicht zeigen, weil sie so dürftig waren. Ich habe aber darauf bestanden sie einzusehen – und durfte es schließlich auch.

Als Evaluator bekommen Sie viele Projekte verschiedener Hilfsorganisationen zu sehen. Was fällt Ihnen auf?

Mit Sorge beobachte ich, wie sehr Menschen in einigen Regionen auf eine Unterstützung durch Projekte setzen und Selbsthilfe eher ausblenden. Dass diese Nehmermentalität entstehen konnte, haben sich bestimmte Akteure der Entwicklungszusammenarbeit aber auch selbst zuzuschreiben.

Besteht die Gefahr in Ruanda auch?

Im Gegenteil: Die Reisbauern im Mwogo-Tal scheinen stolz darauf zu sein, was sie zusammen mit der Welthungerhilfe erreicht haben. Und das können sie auch sein. Es war beeindruckend zu sehen, wie lehrbuchmäßig sie ihre Anbauterrassen inzwischen nutzen; genauso habe ich es in meinem Studium gelernt. Ich werde meinen Studenten von der Hochschule Eberswalde Fotos davon zeigen. Beeindruckt hat mich auch die Entschlossenheit der lokalen Kooperativen, die vom Projekt geförderten Aktivitäten über das Projektende hinaus in Eigenregie fortzuführen.Die Kooperativen wirkten optimistisch und sind fest entschlossen, die vom Projekt geförderten Aktivitäten über das Projektende hinaus in Eigenregie fortzuführen. Das erreichen Projektleiter nur, wenn sie im Alltag immer wieder klar machen: “Wir sind nicht gekommen, um zu bleiben.”

Kai-Uwe Seebörger hat in Göttingen, Berlin und im indischen Allahabad Geografie, (sub)tropischer Pflanzenbau und Sozialökonomik ruraler Entwicklung studiert. Nach sechseinhalb Jahren als Entwicklungshelfer in Mali und Niger arbeitet er seit 2001 als freiberuflicher Berater und Gutachter vornehmlich zu Themen der ländlichen Entwicklung, mit zwei bis drei Auslandseinsätzen pro Jahr – unter anderem für die Welthungerhilfe.

 

Berufsbild Evaluator

Die meisten Evaluatoren arbeiten nach wie vor freiberuflich – mit den typischen Vor- und Nachteilen von Selbstständigen: Einerseits sind sie zeitlich und räumlich flexibel, können zugleich aber schlecht planen und müssen viel Zeit für Auftragsgewinnung verwenden. In den letzten Jahren gründen sich aber immer mehr Gutachterpools, die auch größere Programmevaluationen anbieten können. Die Liste der potentiellen Auftraggeber ist lang: Internationale Nichtregierungsorganisation lassen ihre Projekte ebenso evaluieren wie die GIZ, Entwicklungsbanken wie KfW und die Europäische Kommission.

Fortbildungen zum Evaluator gibt es in Deutschland nur wenige, etwa über die Deutsche Gesellschaft für Evaluation (DeGEval), doch Evaluationsmethoden sind Bestandteil vieler entwicklungspolitischer Studiengänge, etwa am Berliner Seminar für ländliche Entwicklung (sle-berlin.de) und am Centrum für Evaluation (Ceval) der Uni Saarbrücken. Ein Master-Abschluss in einem relevanten Fach wird meist vorausgesetzt. Gutachterinnen und Gutachter müssen entwicklungspolitische Debatten und Theorien kennen, Evaluationsmethoden beherrschen, Sprach- und Landeskenntnisse mitbringen und ihre Rechercheergebnisse gut verschriftlichen können.

Jobsuche: zum Beispiel in Karrierenetzwerken für Entwicklungsfachkräfte wie devex.com oder epojobs.de