Hula – des Widerspenstigen Zähmung

Hula war ursprünglich ein Zeichen des Widerstands gegen die US-amerikanischen Besatzer. Wie wurde ausgerechnet deser Tanz zur Touristenattraktion? in Interview mit Monika Lilleike, die den Hula auf Hawaii erlernte, in Berlin unterrichtet und erforscht – als eine der ersten Weißen überhaupt.

veröffentlicht im Nord-Süd-Magazin INKOTA-Brief, 06/2011 >>

Hula, ist das nicht dieser Baströckchentanz, zu sehen in Hollywood und auf Waikiki Beach…?

Ja, da hat die Tourismusindustrie ganze Arbeit geleistet! Auch ich habe Hula zunächst so kennengelernt, in einem Hotel in Waikiki. Doch ursprünglich ist dieser Tanz etwas ganz anderes.

Was denn?
Ein Geschichtsbuch – und mittlerweile auch eine Form des kulturellen und politischen Widerstands.

Wie kam es zu dieser Verfremdung?
Nachdem die USA die Insel 1898 annektiert hatten, begannen Hotelketten den adligen „Chiefs“ ihr Land in Waikiki abzukaufen; um 1930 war aus der einstigen Agrarregion eine Touristenhochburg geworden. In dieser Zeit entdeckten die Hotelbetreiber den Hula für sich. Schon unter den christlichen Missionaren des 19. Jahrhunderts hatte sich eine westliche Variante dieser hawaiianischen Performancekunst entwickelt; der traditionelle „Hula ‘Ōlapa“ mit seinem unbändigem Stolz, seiner kriegerischen Kraft und Erotik war den Kirchenvertretern suspekt – sie verboten ihn schlichtweg.
Diese Entwicklung setzte sich unter den Hoteliers fort: Sie nahmen dem Hula auch den letzten Stolz und die letzte Kraft – übrig blieb eine ergebene Erotik nach Geschmack des westlichen Publikums. Diese Reduktion verstärkte sich noch, als in den 1940er Jahren US-Soldaten nach Hawaii kamen, um vom Krieg auszuruhen: Der neue Hula ’Auana musste leicht und lieblich und ungefährlich sein; schließlich sollte er ihnen die ersehnte Entspannung bringen.

Wie unterscheidet sich der touristische vom traditionellen Hula?
Der alte Hula ‘Ōlapa erzählt Geschichte und Geschichten: von historischen Ereignissen, Mythen, Orten und Herrschenden der früheren Zeit. Er ist Theater. Der Hula ‘Auana verhandelt dagegen ganz einfache Themen: kleine Liebesgeschichten alltäglich-harmloser Art, keine Themen von gesellschaftlicher Relevanz.

Und die Baströcke und Blumenketten…?
…gibt es im traditionellen Hula nicht. Kostümierung und Musik des Hula ‘Auana verraten mehr über das westliche Südseebild als über Hawaii selbst. Außerdem galt es Komplexität zu reduzieren: Die TouristInnen verstanden die Musikalität des alten Systems nicht; das Mikrotonale war ihnen viel zu monoton. Daher wurden die Percussionsinstrumente durch Kontrabass, Gitarre und Piano ersetzt. Sie wollten Bekanntes hören, in „exotischem“ Gewand.

Wie reagierten die HawaiianerInnen?
Die Einheimischen hatten das nicht mehr in der Hand. Die neuen Herren im Land bestimmten den Geschmack: Alles traditionell Hawaiianische wurde abgewertet und verdrängt, bis es selbst unter den Einheimischen an Ansehen verlor. Zudem war der Hula ‘Auana für viele hawaiianische Tänzerinnen und Musiker eine der wenigen Arten Geld zu verdienen.

Regte sich kein Widerstand gegen die touristische Bespaßung?
Hawaiianische AktivistInnen empfanden das als Prostitution der eigenen Kultur, als neue Form der Kolonialisierung. Das zeigt schon der Name, den sie dem modernen Hula gaben: Hula ‘Auana heißt so viel wie „fremdgehen, vom Weg abkommen“. Doch erst in den späten 1960er Jahren kam es im Zuge der Black-Power-Bewegung in den USA zu einer hawaiianischen Renaissance. Damals entdeckten die HawaiianerInnen den traditionellen Hula ‘Ōlapa als Form der Selbstbestimmung und kulturellen Erneuerung wieder.

Eignet sich traditioneller Hula denn als Ausdruck des Widerstands?
Oh ja: Hula ‘Ōlapa ist eine sehr kraftvolle Performance. Die Bewegungen sind direkt, geometrisch, gezielt – immerhin basiert er auf der alten Kampfkunst Hawaiis. Im Hula ‘Auana sind die Bewegungen ganz weich geworden; die Tänzerinnen bewegen sich auf den Fußballen, mit wenig Kontakt zur Erde. Außerdem war den Männern eingeredet worden, den Hula zu tanzen sei unmännlich. Erst in der hawaiianischen Renaissance tanzten Männer und Frauen wieder gemeinsam.
Heute stehen beide Systeme gleichberechtigt nebeneinander, wie die Komödie und die Tragödie im Theater: ‘Auana wird auf Partys, in Hotels oder am Strand getanzt, ‘Ōlapa ist feierlichen Anlässen, Gedenkveranstaltungen und politischen Demonstrationen vorbehalten.

Dann ist der Hula vollständig retabliert?
Jein – in der Praxis ist das nicht so einfach. HulatänzerInnen müssen Orte in der Natur besuchen, um Pflanzen zu studieren und für ihre Kostüme zu sammeln. Doch mittlerweile sind weite Teile Hawaiis in privatem oder touristischem Besitz; der Zugang zu den rituell bedeutenden Orten war den TänzerInnen lange verwehrt. In den 1990er Jahren bot die Regierung ihnen an, sich als TänzerIn registrieren lassen, um Zugang zum Land zu bekommen. Doch das stieß auf starken Protest. Hawaii hat eine mündliche Kultur, staatliche Schriftstücke sind vielen suspekt. Letztlich versammelten sich 300 Männer und Frauen zu einer Hula-Protest-Aufführung in Waikiki, das war sehr eindrücklich, und sie setzten sich vorläufig durch. Dennoch: Privatisierung und Ausverkauf des Landes gehen weiter.

Wie sehen die Hawaiianer die Touristen?
Da besteht ein gespaltenes Verhältnis. Wirtschaftlich sind sie von ihnen abhängig. Doch zugleich besteht die Wut auf die Weißen, die „Haole“, bei vielen fort – das habe ich auch selbst erlebt. Doch manchmal kommt es zu versöhnlichen Arrangements: Zum Beispiel habe ich erlebt, wie ein Hotel auf einem alten hawaiianischen Friedhöf gebaut wurde – ein schrecklicher Tabubruch.
Als der Hotelbesitzer schon glaubte, er habe sich durchgesetzt, begann der Spuk, im wahrsten Sinne des Wortes: Immer wieder erzählten Gäste, sie seien von Geistern heimgesucht worden; das Hotel war verflucht. Dem Betreiber blieb nichts anderes, als einen zeremoniell geschulten Meister einzuladen, der die Geister beschwor und das Hotel „reinigte“ – mit Erfolg.

Wie viel von der hawaiianischen Kultur bekommen die Touristen denn zu sehen?
Die Branche hat mittlerweile verstanden, dass es ein Interesse an „authentischer Kultur“ gibt; auf einigen Hulafestivals wie dem „Merry Monarch“ treffen sich mittlerweile einheimische und ausländische ZuschauerInnen. Außerdem haben HawaiianerInnen eigene Geschäfte und Workshops eröffnet, die sich speziell an Reisende richten. Viele PauschalurlauberInnen kommen aber über die Tourismusgebiete nicht hinaus – und die sind nach wie vor in der Hand ausländischer InvestorInnen, aus den USA, aber zunehmend auch aus Japan und China.

Unter welchen Voraussetzungen können interkulturelle Kontakte in Hawaii gelingen, nachdem die Einheimischen so lange schlechte Erfahrungen gemacht haben?
Ich habe fünf Jahre gebraucht, um völlig toleriert zu werden und die Kultur zu begreifen. Reisenden bleibt selten so viel Zeit. Aber man kann sich vorbereiten: Meine HulaschülerInnen in Deutschland begreifen schon hier mehr über Hawaii als TouristInnen, die nur nach Waikiki fahren.
Kulturvermittler wie ich sind aber auch problematisch, denn wir machen touristisch unerschlossene Plätze bekannt. Wenn Individualreisende dann auf eigene Faust losfahren, können sie Einheimische verletzen und in der Umgebung großen Schaden anrichten. Das hawaiianische Ökosystem ist sehr sensibel und der Dschungel ist schon jetzt vollkommen von Wanderwegen durchfräst. Und der „alternative“ Tourismus ebnet oft einer großflächigen Erschließung den Weg. Es kommt schon mal vor, dass meine SchülerInnen nach Hawaii in den Urlaub fahren und mich um die Adresse meines Hulalehrers bitten, um „auch mal eine Stunde zu nehmen“. Dann muss ich sagen: „Nein, das geht nicht.“

(Wie Monika Lilleike Hawaii nach Kreuzberg bringt, zeigt mein Film ‘Hula ohne Hoop’ >>)

Monika Lilleike ist nach fünfjähriger Ausbildung auf Hawaii zur Hulameisterin ernannt worden und promoviert derzeit in Berlin über Hula ‘Ōlapa als theatrale Praxis.

Foto: Monika Lilleike