Die Gedanken sind frei

Ein Junge wird durch ein Missverständnis zum politischen Gefangenen und jahrelang gefoltert; bei seiner Entlassung erkennt er sein Land kaum wieder. Harter Tobak – und doch kommt Abbas Khiders Roman „Die Orangen des Präsidenten“ so unfassbar leicht daher.

Rezension veröffentlicht im Südlink, 09/2011 >>

Ein Junge wird durch ein Missverständnis zum politischen Gefangenen und jahrelang gefoltert; bei seiner Entlassung erkennt er sein Land kaum wieder. Harter Tobak – und doch kommt Abbas Khiders Roman „Die Orangen des Präsidenten“ so unfassbar leicht daher. Schon auf den ersten Seiten wird Khiders junger Held Mahdi von seinen Folterern fast totgeschlagen, doch er lähmt sie mit einem existentialistischen „Trauerlachen“, das erst im Laufe der Lektüre begreifbar wird.
Mahdis Leben ist eine Aneinanderreihung von Absurditäten: Sein Vater verliebt sich in seine Mutter, als sie ihm ins Gesicht spuckt. Er wird zum „Märtyrer“, weil ein iranischer Scharfschütze im Dunkeln seine Feierabendzigarette glimmen sieht. Während Mahdi seine erste wilde Party feiert, stirbt seine Mutter an Krebs. Und als die Gefangenen zu Saddams Geburtstag ihre Amnestie erwarten, erhalten sie statt dessen mit großem Brimborium – eine Kiste Blutorangen.
Während seine Mitgefangenen körperlich und seelisch an den Schikanen zerbrechen, rettet sich Mahdi durch seine existentialistische Haltung und die Kraft seiner Fantasie: Wenn die Perfidie und der Zynismus der Gefängniswärter unerträglich wird, lässt er in Gedanken die Tauben über seiner Stadt Nasrija kreisen und flüchtet sich in Erinnerungen – in Geschichten wie aus Tausendundeiner Nacht, aus einem Irak, den es so nicht mehr gibt.
Die Tauben sind die eigentliche Seele der Stadt. Während sich die Menschen an Krieg und Knast gewöhnen und viele selbst zu Monstern werden, sind die schreckhaften Tauben die letzten Seismographen des Friedens. Als Mahdi nach Jahren frei kommt, sind sie von den Dächern verschwunden; sein stolzes Nasrija gleicht einer Steinzeitsiedlung, an der die Wüste zehrt.
Khiders autobiographisch inspirierter Roman verrät auf 160 Seiten mehr über das Wesen des Krieges als jeder Historienschinken. Das Schicksal durchkreuzt Mahdis Leben mit brutaler Willkür; die religiösen Rituale wirken wie Hohn in einer Welt, der jede Gerechtigkeit und jede höhere Logik abgeht. Doch am Ende siegt die Wut über die Trauer, das Leben über den Tod. Im Chaos des Golfkriegs und der Flucht beschließt Mahdi mit grimmiger Leichtigkeit einfach auf alles zu spucken: „Auf die Heimat. Auf die Baathisten. Auf Amerika. Auf die Araber. Auf die Alliierten. Auf die ganze Menschheit. Und auf Gott, den Faulen, der seinen Hintern nicht hochkriegt.“
Khider, Abbas: Die Orangen des Präsidenten. Edition Nautilus: Hamburg, 2011.