Ballett der Bauarbeiterinnen

Susanne A. Friedel portraitiert starke Frauen in Addis Abeba und verschlägt uns EuropäerInnen die Sprache. Bauarbeiterinnen – gibt es dieses Wort hierzulande überhaupt? Und wer hätte sie sich so vorgestellt?

Kurzrezension veröffentlicht im Nord-Süd-Magazin INKOTA-Brief, 03/2011 >>

Für eine Fotosekunde verharren die Frauen in ihrer anstrengenden Arbeit: Ein nachdenklicher, fast transzendenter Moment entsteht. Der karge Rohbau, die improvisierten Zementtragen, die klobigen Schuhe – ihre Blicke lassen all das hinter sich und verlieren sich im Irgendwo ihrer Gedanken. Mit der Arbeit „Workers“ sind Susanne A. Friedel sensible Portraits von Frauen gelungen, die uns EuropäerInnen die Sprache verschlagen. Bauarbeiterinnen – gibt es dieses Wort hierzulande überhaupt? Und wer hätte sie sich so vorgestellt?
Die Berliner Fotografin begegnete ihnen auf einer Baustelle in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Weibliche „Workers“ sind dort kein seltenes Bild. Und doch entwickeln sich auf den Baustellen klassische Geschlechterrollen: Tätigkeiten, die Wissen und Erfahrung erfordern, bleiben meist Männern vorbehalten. Frauen sind für die körperlich oftmals anstrengenderen (Hilfs-)Arbeiten zuständig, etwa für den kontinuierlichen Nachschub von Zement. Unabhängig von Qualifikation und Erfahrung verdienen sie weniger als ihre männlichen Kollegen – aber immer noch mehr als Frauen in klassisch „weiblichen“ Berufen.
Doch Friedels Portraits handeln nicht von Unterdrückung. Die einheitliche Arbeit hat diese Frauen nicht vereinheitlichen können: Das spärlich einfallende Licht trifft hier auf Persönlichkeiten. Jede hat ihre eigene Art den Schleier zu tragen, ihre eigene Nachdenklichkeit, ihren eigenen Stolz. Die jungen Frauen bringen Leben und Bewegung in die halbfertigen Räume. Wie in einem modernen Ballett lehnen sie an einer nackten Betonwand, ihre fleckigen Arbeitspullis tragen sie wie den feinsten Stoff. Die jungen Arbeiterinnen hadern nicht mit ihrem Schicksal, ihre Gesichter sind unverbraucht – noch scheint alles möglich.
Mit Frauen in klassischen Männerberufen beschäftigte sich Friedel bereits in ihrer Magisterarbeit, in der sie anhand von Bildmaterial untersuchte, wie Geschlechterrollen in der israelischen Armee konstruiert werden. Die 30-Jährige erkannte Bilder als Medium, das eine Gesellschaft repräsentiert, und verschrieb sich daraufhin der Dokumentarphotographie. Ihre Portraitserie entstand im Rahmen des dreiwöchigen Austauschprojektes „Watching You Watching Me“ zwischen der Fotoschule D.E.S.T.A. for Africa in Addis Abeba und der Neuen Schule für Fotografie Berlin.

Foto: (C) Susanne A. Friedel