Im Schlafsack gegen den Klimawandel

Zehntausende Politiker und Aktivisten sind zur Klimakonferenz nach Kopenhagen angereist, die Stadt platzt aus allen Nähen. Während die Politik die Hotels für sich reserviert hat, rücken die Aktivisten in Schiffsbäuchen zusammen und lernen dänischen Familien kennen. Über “fiese” Quartiere und gelebte Nachhaltigkeit

verbreitet über die Presseagentur epd (Evangelischer Pressedient) am 8. Dezember

Es ist fast Mitternacht. Roz Savage steht auf dem Kopenhagener Hauptbahnhof und blickt in das Getümmel aus Anzugträgern und Umwelttouristen, bis sich ihr Blick an gelben Gummistiefeln verfängt. Die Stiefelträgerin schaut sich ebenfalls um und hebt ihr Schild, das eine gewisse „Roz“ sucht. „Rikke!“ Savage fliegt auf ihre Gastgeberin zu, als wäre da kein Koffer hinter ihr, der mehr wiegt als sie selbst, als kenne sie Rikke Gaard nicht erst seit diesem Augenblick.

Die berühmte britische Rudererin Roz Savage ist nur eine von über 3.000 Umweltaktivisten, die während der Klimakonferenz vom 7. bis 18. Dezember in dänischen Gastfamilien unterkommen. Unter dem Motto „Dänemark lädt den Klimagipfel ein – und wen lädst Du ein?“ war das Künstlerkollektiv „Wooloo“ im Sommer von Haustür zu Haustür gezogen, um dänische Familien zu einem „Kunstfestival“ der besonderen Art einzuladen: „Die Kunstwerke, das sind die neuen Formen des Zusammenlebens, die hier entstehen“, erklärt Martin Rosengard von Wooloo. „Individuelle Lösungen reichen nicht aus. Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir unseren Lebensstil gemeinsam überdenken.“

Hier zumindest funktioniert seine Gesellschaftsutopie – und hat nebenbei einen praktischen Nutzen: 15.000 Politiker, Journalisten und Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen haben die Vereinten Nationen für die Konferenz offiziell akkreditiert. Darüber hinaus werden viele Tausend inoffizielle Besucher erwartet, besonders zu der Demonstration am Samstag. Die 13.000 Hotelzimmer in Kopenhagen sind nach Angaben des lokalen Tourismusamts seit Monaten fast völlig ausgebucht. Mit durchschnittlich 200 Euro pro Nacht wären sie für viele Umweltaktivisten ohnehin viel zu teuer. Doch die Klimaschützer machen aus der Wohnungsnot eine Tugend und rücken in ungewöhnlichen Nachtquartieren zusammen: Zu Hunderten in Turnhallen und Schulen – oder mit viel Glück in einem privaten Gästezimmer – üben sie die Kompromissbereitschaft, die die Politiker erst noch lernen müssen.

Für Gastgeberin Gaard ist die Begegnung mit Roz Savage keine Kunst, aber doch ein soziales Experiment: „Ich hoffe, dass der Klimagipfel vielen Dänen die Augen öffnen wird. Hier können wir einmal testen, wie tolerant wir eigentlich sind, ob wir wirklich teilen können.“ Während Gaard die Skepsis ihres vielbeschäftigten Mannes und ihrer schüchternen Tochter überwinden musste, hatte Savage zunächst mit ihrer eigenen Bequemlichkeit zu kämpfen: Sollte sie einen Haushalt mit kleinen Kindern wirklich dem Komfort eines Hotelschiffs vorziehen?

Wuchtig und brummend liegt es am Kai, das Hotelschiff Norröna, das bis vor wenigen Tagen als Fähre zwischen Dänemark und den Faröer-Inseln verkehrte. In seinem Bauch schlafen 1.200 Reisende im Namen des Klimas. Oben wandelt die Delegation von Japan durch die spiegelglänzende Lobby. Auf der Kommandobrücke sendet das kanadische Fernsehen live aus dem diesig-trüben Hafenbecken. Und zwischen all den großen und kleinen VIPs schlendert einer hochzufrieden umher: Mads Salling vom Reisekonzern Kuoni, der den lukrativen Koloss für zwei Wochen gemietet hat. Salling grinst, als könne er es selbst nicht fassen: „Alles ausgebucht, bis auf die letzte fiese Kabine.“

Diese letzte fiese Kabine haben Dennis Iseger, Irene Ousting und ihre Umweltgruppe GreenEUR von der Uni Rotterdam bekommen. 22 Stunden per Anhalter und zu Fuß liegen hinter den Studenten. Die Kabine ist das vorläufige Ende ihres Klima und Geldbeutel schonenden Roadtrips, über den sie einen Film drehen. Tief unter dem Autodeck zwischen Wäscheständern und Neonröhren finden Sie ihr Reich für eine Woche: acht Quadratmeter für sechs Leute, durch kecke Schwingtüren nur notdürftig vom Flur getrennt – für umgerechnet 21 Euro pro Nacht und Person.

„Da können wir ja gleich im Park übernachten!“ Irene holt tief Luft. Doch schon einen Moment später schlafen sie alle, die Kameraausrüstung unterm Kopfkissen versteckt. Für das Roadmovie, das jetzt noch vor ihnen liegt.

Headerbild: Gestrandet im Bauch der ‘Norröna’: Dennis Iseger,Delyana Stueva, Irene Ousting, Cosmin Buteica (v.l.n.r.)